The Hood
werden.
Pilgrims Fingerspitzen zittern, als Ribz ihm eine eiskalte Flasche Red Stripe reicht. Er trinkt zwei große Schlucke, wischt sich mit dem Handrücken über den Mund und beginnt zu erzählen. Kommt mit der Brille nach draußen. Sieht den kauernden Schützen. Dann der Spurt über den Parkplatz. Die Ladehemmung reparieren. Er spreizt die Finger und versucht, die Hand gerade zu halten. Sie ist inzwischen dunkelrot angelaufen und stark geschwollen, als wäre sie entzündet.
»Ich hab mich umgedreht. Konnte den Schützen nicht sehen«, krächzt er. Er fühlt sich benommen. »Nur die Hitze. Wie sie in Wellen vom Boden aufstieg.«
»Das war nicht die Hitze«, sagt Ribz unheilverkündend. Die anderen sehen ihn stirnrunzelnd an. Er war ja nicht mal dabei. »Das waren Duppys, die dich holen wollten.« Böse Geister.
Aber Pilgrim hält nichts von schwarzer Magie. Er raucht kein Crack, trinkt normalerweise nichts. Aber vor allen Dingen glaubt er nicht, dass böse Geister wie bei Dr. Who einfach so auftauchen und dich holen.
»Ich kann diese Voodoo-Scheiße nicht ab«, faucht er.
»Die Duppys belästigen einen nicht, solange man lebt«, plappert Ribz weiter. »Aber wenn man dem Tod nahe ist, dann kommt der Duppy, um sich deinen schwarzen Arsch zu holen. Und das war die aufsteigende Hitze, die du gesehen hast. Du warst so nah dran.«
Zur Betonung hebt Ribz Zeigefinger und Daumen dicht unter Pilgrims Nase. Pilgrim ist sauer jetzt. Ribz mischt sich ein. Heute Abend ist es eine Schießerei-Geschichte, ein Mann-gegen-Mann-Duell.
»Diese Scheiße ist was für Frauen, die sich mit Zeug bespritzen lassen für schwarze Magie«, sagt er. »Das ist doch alles Quatsch. Weißt du, was echt ist? Dieser Junge, der seine Knarre auf mich abgefeuert hat, der ist echt.«
»Lass den Mann seine Geschichte erzählen«, sagt Steps ernst.
Am Ende sind alle einen Augenblick lang still. Er hat ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
»In Hackney sagt jeder Junge: Ich war schon mal in einer Schießerei«, meint Steps seufzend. »Wenn sie aber mit ihren Freunden und fünfzehn oder dreißig Leuten in einer Schießerei sind – das ist keine Schießerei. Mann-gegen-Mann, er hat eine Waffe, schießen oder erschossen werden. Das ist Respekt, Mann.«
Dann halten sie kurz an und setzen Pilgrim ab. Seine Hand pocht, als wäre ein Laster drübergerollt. Ihm wird kurz übel. Er ist hundemüde. Als er drinnen ist, geistern die Worte »Das ist Respekt, Mann« durch sein leeres Zimmer. Ribz reckt seine Faust aus dem Autofenster wie zu einem Black-Power-Gruß. Regen trommelt auf die Kühlerhaube, als der Wagen losfährt. Pilgrim hat ihnen nicht erzählt, dass er niemanden umbringen wollte, als er auf die Angreifer schoss. Er wollte einfach nur, dass sie sich verpissen und ihn in Ruhe lassen. Durch die Wand hört er das Schrillen eines Rauchmelders. Dann begreift er, es ist das ausdauernde Schreien eines Babys, das hungrig aufwacht. Die Stimme der Mutter besänftigt und beruhigt es, bis das Jammern verklingt. Seine eigene Mutter ist nun seit drei Jahren tot. Gerade mal eins fünfzig groß, aber die mutigste Frau, die er je kennengelernt hat. Er hatte ständig mit ihr telefoniert. Als er dann von einem Besuch bei ihr auf Jamaika zurückkam, wechselten sein Vater und seine Stiefmutter die Festnetznummer. Ihr sagten sie nichts davon. Sie hatte auf Jamaika keine richtige Adresse. Sie lebte einfach »die Straße runter«. Sie ging zum Telefon, um ihren Sohn anzurufen, kam aber nicht mehr durch. Sie schrieb ihm Briefe, die von seinem Dad abgefangen wurden. Sie schrieb und schrieb, gab es schließlich auf. Pilgrim lebte sein Leben in England und dachte, sie wäre tot. Wir sehen uns, wenn wir uns sehen. Seit er acht Jahre alt war, musste er mit solchen Dingen im Kopf leben. Er verlor den Kontakt.
Dann mit sechzehn erhielt er einen Anruf von seiner Tante. »Deine Mutter liegt im Sterben«, erklärt sie ihm. Sie hatte Gebärmutterhalskrebs. »Die haben versucht, das Ding wegzulasern. Aber die haben irgendwie nur an ihr geübt. Am Schluss haben sie zu viel weggebrannt in ihr. Als alles verheilt war, konnte sie nicht mehr aufstehen und auch nichts mehr essen.«
Er schält die Socke von seiner Browning 9 mm und hat den hölzernen Schaft auf seiner geöffneten Handfläche liegen. Wenn er erschossen worden wäre, auf welche Seite der Zeitung hätte er es dann geschafft, fragt er sich. Eine Schießerei unter schwarzen Jugendlichen ist nicht mehr die große Nachricht,
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