The Lost
auf den Boden und zog ein neues ein. Dann legte er die Maschine auf die Werkbank und klopfte sich die Hände, Unterarme und das T-Shirt ab. Er war trotzdem noch voller Sägespäne.
»Keine Bange, ich werde dich nicht bitten, mich zu umarmen.«
»Besser nicht.«
»Hast du einen Moment Zeit?«
»Ja, sicher.«
»Lass uns auf die Veranda gehen. Ich könnte eine Limonade vertragen.«
Sie folgte ihm zurück zum Haus.
»Etta?«
»Ja?«
Das Hausmädchen war in der Küche. Katherine hörte, wie sie am Spülbecken das Wasser abdrehte.
»Bringst du uns Limonade?«
»Sicher. Bin gleich da.«
Sie setzten sich, und ihr Vater seufzte. Er klopfte seine Hose ab. Seine Unterarmmuskeln traten hervor. Er war ein kräftiger Mann und hatte trotz seines Schreibtischjobs den festen, durchtrainierten Körper eines Teenagers. Die Werkstatt hielt ihn fit. Er zimmerte ständig irgendwelche Möbel und verschenkte sie. Die Hälfte ihrer Bekannten in San Francisco besaß einen Tisch oder Stuhl von ihm, und einige Leute hatten sogar mehrere Stücke geschenkt bekommen. Er war Perfektionist, deshalb hatte er von den Sachen, die er angefertigt hatte, kaum etwas behalten. Nur den Tisch, den Beistelltisch, den Sessel und den Schreibtisch im Arbeitszimmer.
»Ich fliege nächstes Wochenende nach Kalifornien und besuche deine Mutter«, sagte er. »Möchtest du mitkommen?«
»Nein.«
»Bist du sicher?«
»Warum sollte ich mitkommen wollen?«
»Sie ist deine Mutter, Kath. Es wär ja nur übers Wochenende, und ich dachte, wir könnten auch ein paar Freunde besuchen. Wenn wir schon mal dort sind. Du könntest Deke sehen.«
»Du magst ihn doch gar nicht.«
»Dafür gibt es keinen Grund mehr. Er ist dort, wir sind hier. Man könnte sagen, seine Abwesenheit stimmt mein Herz milder.«
»Sehr lustig, Dad.«
Etta erschien mit zwei großen Gläsern Zitronenlimonade. Sie legte ihnen Untersätze hin und stellte die Gläser darauf. Etta machte die Limonade selbst, sie raspelte die Zitronenschale und mischte sie mit Zucker und einer halben Tasse Wasser, rührte das Ganze zu einem Brei an und ließ ihn über Nacht im Kühlschrank stehen. Am nächsten Morgen dann fügte sie frisches Wasser und den ausgepressten Saft hinzu. Die Limonade schmeckte süß-sauer und war absolut köstlich.
»Zum Wohl«, sagte sie und verschwand wieder ins Haus.
Katherine trank einen Schluck. »Flieg alleine, Dad«, sagte sie. »Ich hab keine Lust.«
»Doktor Greenberg sagt, dass sich ihr Zustand ziemlich verschlechtert hat. Sie redet praktisch kein Wort mehr, hockt wohl nur noch im Tagesraum vor dem Fernseher. Richtig essen tut sie auch nicht mehr. Deshalb hat er mich gebeten rüberzukommen. Er glaubt, das könnte vielleicht helfen. Sie ein wenig aus ihrer Lethargie reißen. Dich zu sehen würde ihr bestimmt guttun.«
»Ach, das bringt doch nichts, Dad.«
»Einen Versuch wär’s wert, meinst du nicht?«
Das Letzte auf der Welt, was sie wollte, war, nach Kalifornien zu fliegen, um dieses Gespenst von einer Mutter in der Klapsmühle zu besuchen, und sie wussten beide, dass das Treffen mit Deke nur ein Köder war. Wenn ihre Mutter allerdings wirklich so gut wie verstummt war, dann hatte sie vermutlich auch keine Tobsuchtsanfälle mehr. Aber eigentlich betrachtete sie ihre Mutter schon lange nicht mehr als Mutter. Ihre Sichtweise auf sie hatte sich von Mama über dieses kreischende durchgedrehte Monster hin zu praktisch Nichts entwickelt.
Es gab Tage, da war sie stinksauer auf ihren Vater, weil er sie in dieses öde Kaff verfrachtet hatte, und manchmal hatte sie so großes Heimweh nach San Francisco, dass es fast körperlich wehtat. Denn in Frisco war immer etwas los, während sich in Sparta Fuchs und Hase gute Nacht sagten; hier gab es nichts außer Bergen und Seen und gewundenen Straßen, kein Fillmore, keinen Telegraph wie in Berkeley, keine Musikszene und so gut wie keine Kiffer. Aber für ein Wochenende hinüberzufliegen brachte es nicht, war keine Entschädigung. Erst recht nicht, wenn ein Besuch bei ihrer Mutter anstand.
Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Dad. Auf keinen Fall.«
»Ist es wegen der Anstalt oder ihretwegen, Kath?«
»Wegen beidem, glaub ich.«
»Aber es ist doch schön dort.«
»Es ist hübsch dekoriert, ja. Aber trotzdem sind dort alle verrückt.«
Ihr Vater seufzte erneut und nippte an der Limonade. Es war nicht zu leugnen, dass sie Recht hatte, und das wusste er nur allzu gut. Es war nicht seine Art, mit ihr zu streiten, nur um sich
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