The Lost
durchzusetzen.
»Kommst du hier allein zurecht?«
»Klar. Etta ist ja auch noch da.«
Etta würde tagsüber hier sein. Die Abende hätte sie für sich allein, und das war gut so. Es bot ihr allerlei Möglichkeiten. Sie wohnten erst seit Ende des Schuljahres in Sparta, also etwas über einen Monat, und sie hatte bisher kaum Leute kennengelernt. Aber immerhin hatte sie sich inzwischen mit diesem Ray angefreundet. Und ihrer Erfahrung nach war der beste Weg, jemand richtig kennenzulernen, aufs Ganze zu gehen.
»Also, ich denke, ich werde einen Flug für Freitag nach der Arbeit buchen und irgendwann Sonntagabend zurückkommen. Ist das in Ordnung?«
»Mhm.«
»Bist du sicher, dass du nicht mitkommen möchtest, Kath?«
»Ganz sicher.«
Sie tranken die Limonade aus, dann kehrte ihr Vater in die Werkstatt zurück, und sie ging nach oben auf ihr Zimmer. Die Werkstatt, dachte sie, war wohl seine Strategie, mit den Widrigkeiten des Lebens zurechtzukommen.
Ob schmutzig oder nicht, die Werkstatt tat ihm gut.
Sie nahm den Zettel mit der Telefonnummer aus ihrer Geldbörse, den Ray ihr gegeben hatte, legte sich aufs Bett und wählte.
»Bates Motel.«
»Häh?«
»Hab ich gerade Bates gesagt? Ich meinte Starlight. Täusche ich mich, oder bist du das, Kath?«
»Meldest du dich immer so am Telefon?«
»Ich hab dir meine Privatnummer gegeben. Bei der Motelnummer melde ich mich ganz normal.«
»Oh.«
»Klasse, dass du anrufst!«
»Überrascht dich das?«
»Ja und nein.«
»Und was soll das denn bitte schön heißen?«
»Hmh. Jetzt, du treibst mich ja ganz schön in die Enge.«
»Wieso?«
»Na ja, egal was ich jetzt sage, es wird egoistisch klingen.«
»Dann heißt das also, dass du nicht egoistisch bist?«
»Lass es mich mal so sagen, ich hatte gehofft, du würdest anrufen, weil du mir deine Nummer nicht geben wolltest. Hättest du dich nicht gemeldet, hätte ich sie selbst rausfinden müssen.«
»Da hättest du aber auf Granit gebissen. Wir stehen nämlich nicht im Telefonbuch.«
»Ich hätte sie schon rausgekriegt. Ich hab da so meine Methoden. Ansonsten hätte ich für ein paar Tage euer Haus beschatten und dir auf der Straße auflauern müssen, so was in der Art.«
»Ich weiß nicht, ob mir das gefallen hätte.«
»Kommt ja wohl drauf an, wie ich dir aufgelauert hätte, oder? Vielleicht mit einem Strauß roter Rosen in der Hand oder einer Flasche Champagner oder zwei Flugtickets nach Paris?«
»Das wäre eine nette Überraschung gewesen.«
Er zauberte ihr ein Lächeln aufs Gesicht, und das war gut, denn nun fühlte sie sich etwas sicherer hinsichtlich des Vorschlags, den sie ihm unterbreiten wollte. Es handelte sich um einen Verrat. Allerdings um einen ganz kleinen. Ihr Vater würde es nie erfahren.
»Hast du Freitagabend schon was vor, Ray?«
»Wart mal, ich schau in meinem Terminkalender nach. Mal sehen: Montagabend, alles voll; Dienstagabend, auch nichts frei; Mittwoch, auch nicht; Donnerstag, nein. Freitagabend – ich glaub’s ja nicht. Da hab ich noch nichts vor.«
»Scherzkeks.«
»Ich bin Komiker. Das ist was ganz anderes.«
»Hol mich um acht ab.«
»Verrätst du mir auch, was du vorhast?«
»Auf keinen Fall. Tust du mir einen Gefallen?«
»Was?«
»Komm allein. Ohne deine beiden Groupies.«
»Du meinst Tim und Jennifer?«
»Ja.«
»Wer sind Tim und Jennifer?«
»Gut. Also bis dann.«
»Vorher geht’s nicht? Bis Freitag ist noch ziemlich lange hin.«
»Du bist doch ausgebucht.«
Sie legte auf und war zufrieden mit sich. Der Bursche gefiel ihr wirklich, ganz gleich, wie eigenartig er sein mochte. Und eigenartig war er auf jeden Fall. Und es war schön, endlich mal wieder ein bisschen über die Stränge zu schlagen.
Seit ihrem Umzug war sie ein richtig braves Mädchen gewesen.
Eigentlich passte das gar nicht zu ihr, fand sie.
5
Ray
Perfektes Timing, dachte er. Gerade als er auflegte, kam Jennifer aus dem Bad gewatschelt. Ein paar Sekunden früher, und er hätte nur unter einem Vorwand sein Telefonat mit Katherine fortsetzen können. So war es aber nicht nötig gewesen. Jennifer war in ein weißes Motel-Handtuch gewickelt. Wie immer war sie nach dem Sex nicht halb so attraktiv wie vorher. Aber so war es ja meistens mit den Weibern.
Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und machte es auf.
»Wer war denn dran?«
»Häh?«
»Ich hab dich reden gehört.«
»Ach so. Meine verfickte Mutter. Ging um den Arbeitsplan an der Rezeption. Immer die gleiche Leier.«
Sie nahm das
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