The Lost
Halb-Lächeln auf den Lippen. Sie kam mit der braunen Papiertüte unterm Arm heraus und kicherte kopfschüttelnd. Er kicherte ebenfalls. Es war ansteckend.
»Der Mann war so was von verdattert«, sagte sie und legte die Tüte nach hinten zum Bier.
»Wieso?«
»Ich habe ihn voll auflaufen lassen und ihm die Meinung gegeigt. Ich meinte zu ihm: ›Wie würden Sie sich fühlen, wenn Ihr Hosenschlitz offen steht und ich ungeniert auf Ihr Dingsbums starren würde?‹ Er war völlig perplex. Ich glaube, er hat sich fünfmal bei mir entschuldigt. Bis ihn die Kundin hinter mir aus seiner misslichen Lage gerettet hat.«
»Du bist ein böses Mädchen. Ein wirklich böses Mädchen.«
»Das wird er nicht so schnell vergessen.«
»Ach was, er wird heut Nacht davon träumen !« Sie hörte auf zu kichern, betrachtete ihn und lächelte ihn genauso herausfordernd an wie vorhin.
»Und was ist mit dir, Ray? Wovon träumst du so?« Sie legte die Hände ans Hemd und begann, es langsam zuzuknöpfen. Ihm fiel keine Antwort ein. Er lächelte sie nur mit ausgebreiteten Armen an, als wollte er sagen: Na, was glaubst du wohl, Kleine? Dann öffnete er ihr die Tür und sah zu, wie sie einstieg.
»Nimm die Fünfzehn bis zur Achtzig und dann die Sechsundvierzig.«
»Warum? Wo fahren wir denn hin?«
»Das wirst du schon sehen. Ich hoffe, du hast einen Flaschenöffner dabei.«
»Klar.«
Er beugte sich zu ihr hinüber, klappte das Handschuhfach auf und wühlte darin herum, bis er den Öffner gefunden hatte.
Sie machte sich ein Bier auf und lehnte sich zurück.
»Gib mir auch eins.«
»Aber du fährst doch.«
»Na und?«
»Wenn dich ein Bulle mit einer Flasche am Steuer sieht, wirst du verhaftet. Soll ich dir etwa die Kaution stellen? Soll ich nach Hause trampen? Rauch lieber einen Joint, Ray. Das fällt nicht so auf.«
»Okay. Gute Idee.«
Er griff in seine Hemdtasche, und sie betrachtete ihn von der Seite, während er den Joint anzündete. Was sollte sie von diesem seltsamen kleinen Burschen halten? Sie war sich ziemlich sicher, dass diese Geschichte über seinen Gehfehler gelogen war. Besonders die Sache mit dem Jungen, den er niedergeschlagen hatte. Sein Humpeln hatte bestimmt einen viel profaneren Grund. Irgendeine Kinderkrankheit oder so. Er hatte sie mit der Geschichte beeindrucken wollen.
Sie hatte nichts gegen eine Lüge, solange es eine gute Lüge war. Diese hier war ganz okay. Nicht besonders originell, aber ihr gefiel der Teil mit dem Herumklettern auf den Dachbalken. Das hatte sie als kleines Mädchen auch getan. Früher oder später würde sie schon die Wahrheit herausfinden. Falls sie überhaupt Lust hatte, sich so lange mit dem Burschen abzugeben. Das letzte Wort war noch nicht gesprochen.
Sie lehnte sich zurück und genoss die Fahrt. Der Highway 15 schlängelte sich durch kleine Ortschaften, durch weite offene Landschaften und durch dunkle Wälder, in denen man nachts wegen der Hirsche vorsichtig sein musste. Angeblich bekam man hier am Straßenrand hin und wieder sogar einen Bären zu sehen. Er drückte ganz schön aufs Tempo, aber er war ein sicherer Fahrer und nahm elegant alle scharfen Kurven. Er wusste, wie man mit einem Auto umging.
Sie fragte sich, wie er sich in New York City schlagen würde.
Er würde auffallen, dort wo sie mit ihm hinfuhr, so viel stand fest. Entenschwanzfrisur, schwarze Lederjacke, schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans. Die silberbeschlagenen schwarzen Cowboystiefel und die silberne Erkennungsmarke um den Hals, das dezente Make-up.
Sie stellte ihn auf die Probe, sicher. Es war fast ein bisschen gemein von ihr.
Aber ob er den Test nun bestand oder nicht, sie hatte das Gefühl, dass es ein amüsanter Abend werden würde.
Sie redete nicht viel, darum sprach er die meiste Zeit. Er erzählte ihr von seinem Apartment, von der Einrichtung und seinem Plan, es zu vergrößern, indem er einen Durchbruch machte – ja, das war ihm gerade erst eingefallen. Wahrscheinlich könnte er die meiste Arbeit von Tim erledigen lassen und ihm dafür ein bisschen Haschisch schenken. Keine schlechte Idee. Er erzählte von seiner Band und seinen Ambitionen als Rockstar. Dass er in der siebten Klasse ein guter Turner gewesen war. Von den Dragster-Rennen in der Senke. Das schien sie besonders zu interessieren, jedenfalls mehr als seine Ausführungen darüber, welche Bands gerade angesagt waren und welche nicht. Er schilderte ihr, wie Bobby Sylvester die Kontrolle über seinen Ford verloren hatte, von der Strecke
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