The Lost
hätte er sofort den Sender gewechselt. Hier hingegen schien es genau das Richtige zu sein. Irgendwie ließ er sich heute Abend alles gefallen.
Mit so einer Hammerfrau an der Seite.
Eine umwerfende langbeinige Blondine mit einem engen schwarzen Mini und einer Krawatte über der weißen Bluse erklärte ihnen lächelnd, dass sie freie Platzwahl hätten. Etwa zwei Drittel der Tische waren besetzt. Katherine nahm ihn bei der Hand und führte ihn zwischen den Gästen hindurch zu einem freien Tisch an der Seite.
Sie zogen bereits erste Blicke auf sich. Er kam sich vor wie ein Exot. Und wie. Erstens schienen alle Anwesenden über dreißig zu sein, es sei denn, man zählte die kleinen Kinder mit, die einige Leute hergeschleift hatten. Die einzige Ausnahme war das Pärchen gleich rechts von ihnen; die beiden waren vermutlich erst Mitte zwanzig, wirkten mit ihren konservativen Klamotten im Nixonite-Stil aber zehn Jahre älter.
Zweitens wirkten alle hier, als käme ihnen die Kohle nur so zu den Ohren raus. Gehobene Mittelklasse oder besser. Er konnte das viele Geld, das ihn umgab, förmlich riechen. Er schüttelte den Kopf und musste lachen.
»Katherine, was zum Henker tun wir hier?«
»Wir genehmigen uns einen Drink, Dummchen.«
»Woher kennst du den Laden? Durch deinen Vater?«
Sie nickte. »Ich komme her, seit ich ein kleines Mädchen bin. Siehst du die große alte Eiche dort drüben? Meine Mutter hat mal ein halbes Glas Bananen-Daiquiri dagegengeschleudert.«
»Warum das denn?«
»Wahrscheinlich hat ihr der Drink nicht geschmeckt. Oder sie war sauer auf meinen Vater. Ich weiß es nicht mehr. Ich erinnere mich nur noch daran, wie der Cocktail am Baumstamm runterlief, dieser weißliche Glibber.«
Die langbeinige Blondine erschien, um ihre Bestellung entgegenzunehmen. Er orderte einen Scotch mit Sodawasser. Er schätzte, dass er damit den hiesigen Ansprüchen genügte.
Katherine lachte. »Einen Bananen-Daiquiri, bitte«, sagte sie. »Um der alten Zeiten willen.«
Die Kellnerin lächelte nur kurz und bedankte sich. Er nahm an, dass man in einem Laden wie diesem lernte, keine Fragen zu stellen.
»Es war dir bestimmt wahnsinnig peinlich. Das mit deiner Mutter, meine ich.«
»Häh? Oh, eigentlich nicht. Solche Sachen waren wir von ihr gewohnt.«
»Wie, es gehörte zu ihren Angewohnheiten, mit Drinks um sich zu werfen?«
»Du willst gar nicht wissen, welche Angewohnheiten meine Mutter so hatte, glaub mir. Da würde dir dein hübsches welliges Haar zu Berge stehen.«
»Gefällt es dir? Ja?«
»Was? Dein Haar?« Sie lachte. »Sicher. Aber ich an deiner Stelle wurde etwas weniger von dem klebrigen Zeug verwenden.«
»Es ist nicht klebrig. Im Ernst. Hier. Fass an.«
Er neigte den Kopf vor, und sie lächelte und fuhr ihm mit den Fingern sanft durchs Haar.
Diese Finger wollte er am ganzen Körper spüren.
»Siehst du? Das ist Vitalis. Nicht Bryl -Creme oder irgend so ein fettiges Zeug.«
»Du hast Recht. Es klebt nicht. ’tschuldigung.«
»Entschuldigung akzeptiert.«
Sie rieb die Finger aneinander und roch daran.
»Riecht aber ein bisschen ölig.«
Sie nahm eine Packung Zigaretten aus der Handtasche und schüttelte eine heraus.
»Hast du Feuer?«
Er holte seine eigenen Marlboros und das Zippo heraus, klappte mit dem Daumen die Metallkappe auf und zündete erst ihre und dann seine eigene Zigarette an. Das Klicken beim Schließen der Kappe ließ ein paar Leute aufblicken. Einige beobachteten sie ungeniert weiter. Diese Penner.
»Hast du Lust auf ein kleines Spielchen?«
»Was denn?«
Eigentlich mochte er keine Spiele, außer wenn er sie sich selbst ausdachte. Er war stets auf der Hut.
»Es heißt Wahrheit.«
»Ach ja?«
»Ich stelle dir eine Frage, und du musst sie wahrheitsgemäß beantworten. Und keinen Scheiß. Du musst absolut offen und ehrlich sein. Danach darfst du mir eine Frage stellen. Für mich gilt dasselbe. Für den Anfang hat jeder, sagen wir, drei Fragen.«
»Ich kapier’s nicht. Und wann hat man gewonnen?«
Sie zuckte mit den Schultern, nahm einen Zug von der Zigarette und blies den Rauch aus.
»Manchmal gewinnt niemand. Manchmal gewinnen alle.«
Er dachte darüber nach.
»Ich weiß nicht. Komisches Spiel.«
»Findest du?«
»Für mich klingt das wie ein Psychotrick.«
»Nein, es ist das genaue Gegenteil. Psychotricks benutzt man, wenn man jemanden in die Irre führen will, wenn man den Leuten was vormacht. Wie ein Zauberer. Das hat nichts mit der Wahrheit zu tun. Die Wahrheit
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