The Lost
nachdenklich und war glücklicher als je zuvor.
25
Katherine
Das Ganze war echt krank.
Sie schenkte Scotch für einen Typen ein, der behauptete, ein Mörder zu sein. Er saß drüben im Wohnzimmer.
Und sie war allein.
Der Typ war ein geborener Aufschneider, und das meiste, was er erzählte, war vermutlich erstunken und erlogen. Die Geschichte über die gebrochenen Beine hatte sie ihm nicht eine Sekunde geglaubt. Warum sollte sie ihm also das jetzt abkaufen?
Aber falls es tatsächlich gelogen war, dann war es die abartigste Lüge, die sie je gehört hatte. Warum erzählt er mir so einen Scheiß? Fand er das etwa romantisch? Sie dachte an die Berichterstattung über die Tate-Morde und fragte sich, ob das irgendwie auf ihn abgefärbt hatte, ob das vielleicht eine kranke düstere Fantasie in ihm geweckt hatte.
Der Typ war echt merkwürdig.
Ihr Vater würde sterben, wenn er wüsste, dass so ein Kerl in ihrem Wohnzimmer hockte. Ob die Geschichte nun stimmte oder nicht.
Es war bereits spät abends.
Und sie war allein mit ihm.
Ich hätte mitfliegen sollen, dachte sie. Ich hätte Dad begleiten sollen. Der Gedanke traf sie ganz unvermittelt und nagte an ihr. Was bin ich bloß für eine Tochter? Wieso habe ich ihn nicht begleitet?
Wütend verdrängte sie den Gedanken. Sie hatte sich dagegen entschieden. Punkt. Nun wollte sie auch dazu stehen. Außerdem gab es im Augenblick genügend andere Dinge, über die sie nachdenken musste.
Dass sie ihn nach Hause mitgenommen hatte, war alles andere als klug gewesen.
Das Ganze war völlig bizarr. Bei der zweiten Verabredung gesteht er ihr einen Mord. Zeigt ihr, wo und wie er es getan und danach die Spuren verwischt hat.
In gewisser Weise wäre es jedoch noch kränker, falls es eine Lüge war und nicht die Wahrheit. Es gab gute Gründe, sich einer mehr oder weniger fremden Person zu offenbaren, selbst wenn man sich erst zweimal mit ihr getroffen und nur einmal mit ihr geschlafen hatte. Aber warum in aller Welt sollte man sich so etwas ausdenken ? Zu welchem Zweck?
Er hatte behauptet, dass er sie mochte. Vielleicht hatte er sich ja in sie verliebt.
Sie fand es dafür ein wenig zu früh.
Er hatte gesagt, er würde ihr trauen.
Warum sollte er das tun?
Er kannte sie doch kaum.
Etwas in ihrem Inneren war gewillt, ihm die Geschichte zu glauben. Ein anderer Teil von ihr schloss diese Möglichkeit jedoch rundweg aus und nannte ihn einen Lügner.
Und ein weiterer Teil wollte Detektiv spielen.
Vielleicht war dies der Grund dafür, warum sie ihm den Scotch einschenkte.
Jedenfalls war es mit Abstand das Seltsamste, was sie je erlebt hatte. Und sie musste zugeben, dass es irgendwie auch aufregend war, und vermutlich sogar gefährlich. Denn ob nun gelogen oder nicht, ein Mann, der einem so etwas erzählte, war gefährlich.
Mörder oder Spinner.
Beide konnten einem wehtun.
Du spielst mit dem Feuer, Katherine. Treib es nicht zu weit. Vielleicht solltest du dir nochmal überlegen, ob du dieses Spiel wirklich fortführen möchtest.
Er saß auf der Couch und starrte ins Leere, als sie mit den Drinks ins Zimmer kam. Er sah erschöpft aus. Ausgelaugt. Falls das nur gespielt war, war es die mit Abstand beste Leistung, die er bisher abgeliefert hatte. Sie reichte ihm den Scotch und setzte sich ihm gegenüber in den Sessel. Sie wollte Abstand zu ihm wahren, und er schien damit gerechnet zu haben. Sie trank einen Schluck von ihrem Wodka-Tonic.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Ray. Ganz ehrlich, ich weiß es nicht.«
»Ich erwarte auch nicht, dass du etwas sagst.«
»Und ich weiß nicht, ob ich dir glauben soll.«
»Dacht ich mir schon.«
»Aber das ist krank, weißt du das? So oder so.«
» Ich bin krank. All die Jahre schon. Scheiße, ich hab immer gedacht, es läge daran, dass ich adoptiert wurde, aber das ist es nicht. Meine Eltern sind gut zu mir. Und die Tatsache, dass ich meine richtigen Eltern nicht kenne, das zählt nicht. Viele andere Kinder kennen ihre Eltern auch nicht. Damit hat es nichts zu tun.«
Das ist etwas Neues, dachte sie. Er wurde adoptiert. Behauptet er zumindest.
Sie trank einen weiteren Schluck. Frag ihn, dachte sie. Es ist pervers, aber das ist es doch, was du wirklich wissen möchtest, oder? Also mach schon und frag ihn. Ob er nun gelogen hat oder nicht, du möchtest seine Antwort hören. Sie zündete sich eine Zigarette an und schüttelte das Streichholz aus.
»Wie hat es sich angefühlt, Ray?«, fragte sie. »Beschreib’s mir.«
»Häh? Hab ich
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