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The Lost

Titel: The Lost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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dir doch erzählt.«
    »Du hast erzählt, wie du dich hinterher gefühlt hast. Aber nicht währenddessen, während der Tat.«
    Sie nahm einen großen Schluck und sah ihn an.
    »Also, wie ist es, wenn man zwei Frauen erschießt, Ray?«
    »Mann, Kath.« Er schien sich nicht wohlzufühlen, aber ihr fiel auf, dass das Funkeln in seine Augen zurückgekehrt war. »Möchtest du das wirklich wissen?«
    »Denke schon. Sonst würd ich ja nicht fragen.«
    Es wurde still im Haus. Sie hörte das Eis in seinem Scotch klirren, als er das Glas zum Mund führte und einen Schluck nahm. Einen Moment lang kam sie sich albern vor und verspürte einen Hauch von Angst, als würde sie mit ihm am Lagerfeuer hocken und gleich eine Gruselgeschichte von ihm hören.
    Er setzte sich auf, mied ihren Blick.
    Er sprach langsam und bedächtig, als würde es ihn wirklich mitnehmen, über diese Dinge zu reden.
    »Es war furchterregend«, sagte er. »Gefährlich und furchterregend. Aber ich muss sagen, also, ich will ehrlich sein, plötzlich verspürte ich ein Gefühl ungeheurer Macht. Ich meine, ich hätte den beiden auch nur etwas Angst einjagen oder sie anschießen können. Und nach den ersten Schüssen hätte ich immer noch aufhören, sie am Leben lassen können. Aber ich habe weitergemacht. Ich konnte nicht mehr aufhören. Es war wie in der Achterbahn, verstehst du? Wenn du erst mal drinsitzt, kannst du nicht mehr aussteigen. Du bleibst bis zum Ende sitzen. Es ist wie ein Rausch … es packt dich und lässt dich nicht mehr los. Mein Gott! Es tut mir so leid. Das ist krank, echt krank. Ich bin …«
    Er schüttelte den Kopf. Sie beugte sich vor und legte ihm einen Finger an die Lippen.
    »Schhhhh«, machte sie.
    Sie konnte es nicht fassen. Sie war kurz davor, es zu tun, dachte sie.
    Ja, dieses eine Mal würde sie es tun und danach niemals wieder.
    Untersteh dich, dachte sie. Im Ernst, Katherine, fang nicht damit an.
    Ray war gestört, ob er nun log oder nicht. Aber sie war genauso gestört und würde es gleich wieder unter Beweis stellen. Das war ihr allerdings nicht neu. Sie wusste es schon lange. Sie war die Tochter ihrer Mutter. Sie wusste, es, seit sie ein kleines Kind war, und hatte sich darin bequem eingerichtet. Es war ein vertrautes Gefühl, und es war unausweichlich.
    Gleich wird Katherine großen Mist bauen.
    Die Frage war nur, wie schlimm es diesmal werden würde.
    Sie würde es tun in dem Glauben, dass er die Wahrheit sagte. Denn in diesem Moment wollte sie ihm glauben. Und die Wahrheit konnte sie jetzt sowieso nicht herausfinden. Sie würde sich fallenlassen, denn sie wollte wissen, wie es sich anfühlt. Sie würde sich an jenen Ort in ihrem Innern begeben, den sie hin und wieder gerne aufsuchte. Jenen Ort, an dem sie sich lebendig und rundum wohlfühlte.
    Heute Nacht, nur dieses eine Mal und danach nie wieder, würde sie mit einem Mörder schlafen. Einem Feind des menschlichen Lebens. Sie würde es nur tun, weil sie herausfinden wollte, wie es sich anfühlte, während sie es taten, und aus keinem anderen Grund. Jedenfalls nicht um ihn zu trösten.
    Machte sie das etwa zu Seelenverwandten?
    Vielleicht.
    Egal.
    Sie stellte ihren Drink ab, ging zur Couch und setzte sich auf seinen Schoß. Sie spürte die von ihm ausgehende Energie, die ihn förmlich vibrieren ließ. Er starrte sie mit großen Augen ungläubig an, während sie den Pulli über den Kopf zog und seinen steinharten Schwanz aus der Hose holte. Er legte seine Hand um ihre und drückte sie.
    Dann klingelte das Telefon.
    Sie wandte sich um und starrte es an, als hätte sie eine Schlange gebissen.
    Das Telefon war die raue Wirklichkeit.
    Was sie gerade getan hatte, war nicht die Wirklichkeit, das wurde ihr plötzlich klar.
    Was sie hier tat, fiel eindeutig in die Kategorie »abseitige kranke Fantasie« und sonst nichts. Plötzlich schämte sie sich.
    »Bleib hier«, flüsterte Ray. »Geh nicht ran.«
    »Mann, weißt du, wie spät es ist?«
    »Bestimmt hat sich jemand verwählt.«
    »Das glaube ich nicht, Ray. Nicht um diese Uhrzeit.«
    Sie stand von ihm auf und zitterte, ohne zu wissen, ob es an ihm lag oder an dem, was sie beinahe mit ihm gemacht hätte, oder an dem Anruf. Sie wusste nur, dass sie Angst hatte, den Hörer abzuheben, und am meisten Angst hatte sie vor sich selbst.
    Sie nahm ab und hielt sich den Hörer ans Ohr. Und während sie der Stimme am anderen Ende in all ihrer Traurigkeit und Einsamkeit zuhörte, fing sie an zu weinen, doch ihrem Vater zuliebe versuchte sie,

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