The New Dead: Die Zombie-Anthologie
trank ich ein Glas nach dem anderen. Um elf Uhr war ich betrunken.
Um ein Uhr hielt ich es für ein Verbrechen an der Menschlichkeit, dass kein Eis im Haus war, so als ob die UN-Behörde zum Nachtisch kommen und mich erschießen würde, wenn ich mich nicht sofort darum kümmerte. Mir war klar, dass ich betrunken war, sturzbetrunken, und dass es irgendwas zwischen keiner guten Idee und absolutem Schwachsinn war, in diesem Zustand Auto zu fahren. Ich wusste jedoch auch, dass es keine achthundert Meter von hier einen rund um die Uhr geöffneten Laden gab. Raus aus meiner Einfahrt, immer geradeaus an vier Stoppzeichen vorbei, und schon ist man da. Ohne überhaupt am Lenkrad drehen zu müssen. Ich hätte auch gehen können. Die frische Luft hätte mir gutgetan, doch da ich nicht einmal auf die Idee kam, musste ich nicht darüber nachdenken, ob ich zu faul zum Laufen war. Auch ein anderer Gedanke kam mir nicht in den Sinn: die Scheinwerfer einzuschalten.
Das allein war schon schlimm, aber das zweite Stoppzeichen zu missachten war noch schlimmer. Weder spielte ich gerade am Radio herum noch war ich anderweitig abgelenkt. Ich habe es schlicht und einfach übersehen und kann mich auch nicht mehr daran erinnern. Ohne die Reflektion durch die Scheinwerfer war das Schild unsichtbar. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich an dieser Stelle besser etwas langsamer fahren sollte, doch da spürte ich auch schon, wie irgendetwas gegen meinen Wagen prallte. Kurz darauf wusste ich, dass ich hätte anhalten müssen, und nachdem ich einige Sekunden gebraucht hatte, um die Bremse zu finden, tat ich das auch. Ich war ein betrunkener Idiot, das steht außer Frage, und mir wurde klar, dass ich die Scheinwerfer hätte einschalten müssen, aber ich war geistesgegenwärtig genug, das jetzt nicht nachzuholen.
Hastig kramte ich die Taschenlampe für den Notfall aus dem Handschuhfach und brauchte einen kurzen Moment, um mir ins Gedächtnis zu rufen, wie man sie einschaltete, doch schon bald hatte ich alles im Griff. Ich stieg aus dem Auto und torkelte die dreißig Meter oder so bis zur Stelle des Aufpralls zurück. In meinen schlimmsten Befürchtungen – das schwöre ich – hatte ich einen Mülleimer, vielleicht sogar einen Hund oder eine Katze überfahren, doch als ich mich dem Stoppzeichen näherte, sah ich sie am Straßenrand liegen, mit geöffneten Augen und aus dem Mund blutend. Ihr Atem hörte sich wie ein schreckliches Rasseln an, und ihrOberkörper zuckte heftig. Und dann sah ich ihre Schädelverletzung, das Blut und die Haare und ihr freiliegendes Gehirn. Sie hob eine Hand in meine Richtung und öffnete den Mund, als ob sie etwas sagen wollte. Ich schaute weg.
Du weißt nicht, wer du bist, solange du nicht auf die Probe gestellt wirst. Ich habe mich immer für jemanden gehalten, der das Richtige zu tun weiß, aber wie sich herausstellte, war ich ganz anders. In jenem Moment wusste ich, dass ich betrunken und mit ausgeschalteten Scheinwerfern gefahren war und dieses Mädchen im Sterben lag. Ich konnte ihr Gehirn sehen und ihren Todeskampf hören. Was auch immer ich jetzt tat, es hätte sie nicht mehr retten können. Das war andererseits gut so, denn hätte ich geglaubt, sie retten zu können … Ich bin mir nicht sicher, dass ich es versucht hätte. Trotzdem hätte ich die 911 wählen sollen – mein Handy hatte ich dabei –, doch wenn ich das gemacht hätte, wäre mein Leben vorbei gewesen. Gefängnis und Verachtung hätten mich erwartet. Alles, was ich war und noch sein wollte, hätte ich vergessen können.
Um mich herum war es stockdunkel. Nirgends war ein Licht zu sehen. Nicht einmal das Bellen eines Hundes war zu hören. Keiner wusste, dass ich hier war. In einem klaren und entschlossenen Augenblick eilte ich zum Auto zurück, wendete, fuhr an dem Mädchen vorbei, das ich überfahren hatte, und schaffte es irgendwie, den Wagen in die Garage zu bugsieren. Erstaunlicherweise fand ich keinerlei Anzeichen eines Unfalls am Wagen. Ich war – wie ich mit Sicherheit wusste – völlig blau, sodass ich mich nicht auf mein Urteilsvermögen verlassen konnte, aber für meine benebelten Augen sah alles gut aus. Also ging ich ohne noch weiter darüber nachzudenken hoch, zog mich aus, putzte mir schnell die Zähne und ging zu Bett.
Am Morgen stand ich völlig verkatert und voller Panik auf und sah nach meinem Wagen. Kein Blut, keine Kratzer, keine Beulen. Um ganz sicherzugehen, fuhr ich mit dem Auto durch die Waschstraße. Dann entspannte
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