The Road of the Dead
von Vince sein können – und der Tankwagen, den wir an der Tankstelle gesehen hatten.
»Wohin?«, fragte Nate Cole, als er den Wagen gerade stehen hatte.
»Gibt doch nur eine Straße.«
Nate warf ihm wieder einen Blick zu.
Cole stöhnte. »Fahr einfach.«
Wir fuhren die Straße zurück ins Dorf, über die Steinbrücke, danach den Berg hinauf auf die Kreuzung mit der Hauptroute |198| durch das Moor zu. Die Dunkelheit war massiv und stumm, der Regen ein einziger schwarzer Nebel. Als wir an dem Zigeunercamp vorbeikamen, flimmerten die blassen Lichter der Wohnwagen schwach hinter einer Reihe kümmerlicher Bäume. Ich überlegte, was Jess jetzt wohl gerade machte. Weinen? Schlafen? Nachdenken? Vergessen? Ich dachte an ihren gequälten Schrei und ihr Schweigen im Wald, ihren traurigen Kuss in den sterbenden Schatten … dann schloss ich die Augen und sah ihr Gesicht im Licht einer anderen Zeit.
Es ist früher Morgen, kalt und klar … irgendwann in naher Zukunft. Vielleicht morgen. Jess kniet sich hin und redet mit jemandem. Ich kann nicht sehen, wer es ist. Ich bin nicht dort. Keine Ahnung, wo ich bin. Jess sieht traurig aus, aber nicht so traurig, wie sie vorher gewesen ist. Es ist die Traurigkeit eines Menschen, der tut, was er immer tun wollte, aber am falschen Ort, zur falschen Zeit und unter den falschen Umständen.
Ich höre einen Gasofen zischeln, rieche Zigarrenrauch und Kaffee und ich sehe Jess, wie sie den Blick senkt und in dem Licht der einschläfernden blauen Flammen lächelt …
Und dann verlor ich sie.
Als ich die Augen wieder aufschlug, hatten wir die Kreuzung oben an der Bergkuppe erreicht und Cole sagte zu Nate, er solle nach links abbiegen. Nate tat, was er sollte, und wir fuhren schweigend auf der verlassenen Straße durchs Moor. Der Nachthimmel war jetzt riesig wie ein weiter schwarzer Vorhang aus sternlosem Samt. Nichts war zu sehen und alles war möglich.
|199| Ich sah Cole an. Seine Augen waren tot. Die Pistole in seiner Hand war eine silbern-schwarze 9-mm -Automatikwaffe. Ich wusste, dass er sie schon einmal in der Hand gehabt hatte – und ich war mir auch ziemlich sicher, dass er damit geschossen hatte. Ich empfand die Muskelvertrautheit in seinem Arm – und dann den plötzlichen Ruck der Waffe und das Peitschen des Rückstoßes, als er den Finger beugte und schoss …
Hatte er Billy McGinley getötet?
Wollte ich das wirklich wissen?
Ich sah ihn wieder an. Sein Blick tastete die Dunkelheit vor uns ab und plötzlich hatte ich Angst vor dem, was er vorhatte.
»Halt hier an«, sagte er zu Nate.
»Wo?«
Cole sagte nichts, sondern stieß nur Nate die Pistole in seinen Nacken. Nate bremste und hielt am Straßenrand. Der Motor rasselte und ächzte, dann verfiel er in ein tiefes zitterndes Knurren. Eine Weile sprach niemand ein Wort. Ich sah, wie Nate einen kurzen Blick in Bohnes Richtung warf. Wahrscheinlich hoffte er auf irgendeine Form von Hilfe, aber Bohne war dazu nicht mehr in der Lage – zusammengesackt lehnte er gegen die Beifahrertür, hielt seinen Kopf in den Händen und stöhnte leise vor sich hin.
»Bist du okay, Rube?«, fragte mich Cole.
»Ja.«
»Hier«, sagte er und reichte mir die Pistole, »halt sie einen Moment in Schach – klar?«
Als ich die Pistole aus seiner Hand nahm und zitternd auf Nates Hinterkopf richtete, drehte sich Cole um und fasste hinter den Rücksitz. Ich hörte ihn in der Dunkelheit herumsuchen, dann, einen Moment später, drehte er sich wieder nach vorn und hielt eine |200| Flinte in seinen Händen. Ich hatte lange ihren Lauf angesehen, lange genug, um sie als Bohnes Waffe wiederzuerkennen. Cole öffnete sie, prüfte, ob sie geladen war, dann ließ er sie wieder zuschnappen. Bohne zuckte bei dem Geräusch zusammen.
Cole sah mich an und nickte zu der Pistole in meiner Hand. »Hältst du’s mit der da noch ein bisschen länger aus?«
»Wieso?«, fragte ich. »Wohin gehst du?«
Er warf einen Blick auf Nate, dann sah er wieder zu mir. »Halt ihm die Pistole weiter an den Kopf. Wenn er sich bewegt oder irgendwas sagt, knall ihn ab – alles klar?«
Ehe ich antworten konnte, hatte Cole die Tür geöffnet und war aus dem Auto gestiegen. Er ging um den Wagen herum, öffnete die Beifahrertür und richtete die Flinte auf Bohne.
»Steig aus«, sagte er zu ihm.
Bohne rührte sich nicht, er kauerte in seinem Sitz und blickte mit verzweifeltem Weiß in den Augen zu Cole auf.
Cole stieß die Flinte näher an sein Gesicht.
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