The Road of the Dead
macht womöglich an den Füßen weiter, und das mag ich nicht. Also denke ich, ich sollte lieber noch mal versuchen, den Fuß zu schütteln …
Und diesmal klappt es. Mein Fuß bewegt sich. Nicht weit und auch nicht besonders schnell, aber es reicht. Die Ratte springt zurück, huscht davon und hinterlässt eine kleine Wolke staubiger Luft. Und jetzt starre ich einfach den Staub an. Er ist fein und alt wie der Staub eines unbenutzten Raums. Auch Strohreste sind mit darin.
Stroh?
Ich scheine mich zu erinnern, dass ich schon irgendwo vorher mal Stroh gesehen habe. Irgendwo? Wo? Auf dem Boden? Ich |254| schaue wieder auf die Holzdielen. Rohes Holz. Staubiges Holz. Gelbe Flecken auf verblichenem Braun.
Fußboden?
Okay, dann ist das also der Fußboden. Aber was ist mit der Decke?
Und schließlich werfe ich den Kopf nach hinten, um zur Decke hinaufzuschauen, doch ehe ich etwas zu sehen kriege, zerreißt ein Donnerschlag meinen Schädel und der schwarze Schleier kehrt zurück.
Ich war nur für ein, zwei Sekunden weg, doch als ich diesmal die Augen aufschlug, war mir plötzlich alles klar. Ich wusste, was passiert war. Ich wusste zwar immer noch nicht, wo ich war oder wie ich dort hingekommen war, aber immerhin erinnerte ich mich wieder, was passiert war. Ich erinnerte mich, dass ich in Quentins Haus gewesen war, dass Cole zusammengeschlagen wurde und Red mich mit der Flinte getroffen hatte. Ich spürte die offene Wunde am Hinterkopf. Sie blutete wieder. Frisches Blut. Frische Schmerzen. Es tat höllisch weh, aber das war schon okay, denn ich wusste ja, was passiert war.
Als ich zur Decke hochgeschaut hatte, war ich mit der Kopfwunde gegen einen dicken Holzpfeiler in meinem Rücken geschlagen, den Pfeiler, an dem ich lehnte …
Den Pfeiler, an dem ich festgebunden war.
Meine Arme waren nicht gelähmt. Sie waren nur so fest hinter meinen Rücken zusammengebunden, dass ich sie nicht mehr spürte.
Ich saß eine Weile da, starrte ins Leere und versuchte bloß, meinen |255| Puls zu beruhigen und nicht in Panik auszubrechen. Das war gar nicht leicht. Ich
wollte
nämlich in Panik ausbrechen. Ich war an einen Pfeiler gefesselt, mein Kopf fühlte sich komisch an, ich konnte die Arme nicht bewegen, ich wusste nicht, wo ich war, ich wusste nicht, wo mein Bruder war oder ob er überhaupt noch lebte …
Verdammt, ich wollte ihn sehen. Noch nie in meinem Leben hatte ich etwas so sehr gewollt. Ich wollte schreien und rufen und heulen wie ein Baby. Ich wollte, dass er bei mir war. Ich wollte wissen, dass alles mit ihm in Ordnung war. Ich wollte ihm sagen, dass mit
mir
alles in Ordnung war, dass jedenfalls alles in Ordnung
kommen
würde …
Ich
wollte
ihn.
Ich
brauchte
ihn.
Aber er war nicht da. Und ich konnte ihn auch nicht spüren. Und wie ein Baby zu heulen würde auch nicht helfen, oder? Also heulte ich eben nicht. Ich saß bloß eine Weile da und starrte ins Leere. Und als ich sicher war, dass ich nicht anfangen würde zu heulen, schaute ich mich ein bisschen um.
Und diesmal hielt ich den Hinterkopf schön fern von dem Holzpfeiler.
Ich nahm mir Zeit, ließ meine Sinne alles um mich herum aufsaugen – den Boden, die Wände, das Dach, das Licht, die Leere, die Stille –, und als ich fertig war, glaubte ich ziemlich genau zu wissen, wo ich mich befand.
Ich befand mich in einem großen hölzernen Bau mit holzgedecktem Dach. Das Dach hatte Risse. Auch die Wände hatten Risse und waren schwarz gestrichen. Es gab keine Fenster und |256| keine Beleuchtung, aber ein schwaches Dämmerlicht drang durch die Risse und ich konnte gerade so eben die Formen einiger Dinge erkennen: eine Luke im Boden am anderen Ende des Baus, abgelegte Säcke, lose Haufen Stroh.
Ich befand mich in einer Scheune.
In der Stille des hohen, kühlen Raumes war die Luft ruhig, und als ich meinen Fuß gegen die Bodendielen stieß, hallte das Geräusch hohl unter mir nach.
Ich befand mich auf dem Heuboden einer Scheune.
Ich wusste es.
Mir war klar, dass es Dutzende Scheunen im Umkreis von Lychcombe geben musste, und wahrscheinlich sahen sie alle gleich aus, doch irgendetwas an dieser hier sagte mir, dass ich schon einmal da gewesen war. Ich spürte die Erinnerung an mich selbst in der Luft, wie ich dümmlich in die Leere unter mir lächelte. Ich sah mich am Fuß einer Leiter stehen, zur Luke hinaufschauen, annehmen, dass dort oben wahrscheinlich nichts sei, und den Entschluss fassen, mich nicht weiter darum zu kümmern.
Ich
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