The Stand. Das letze Gefecht
aufzumachen und einen Fluchtversuch zu wagen. Der Mülleimermann kicherte in der Dunkelheit. Kid war nicht besonders groß. Er würde nicht mehr als einen Happen für jeden abgeben. Und was sie bekamen, konnte durchaus Gift für sie sein.
»Hab' ich recht?« schrie er und meckerte zu den funkelnden Sternen hinauf. »Ihr braucht mir nicht zu sagen, ob ihr diese Heißescheiße glaubt! Verflucht noch mal, ich sag's EUCH !«
Seine geisterhafte graue Eskorte trottete ernst neben ihm dahin und schenkte den Schreien des Mülleimermanns keine Beachtung. Als sie das Coupe von Kid erreicht hatten, trottete der Wolf hinter ihm hin, schnupperte an einem der Breitreifen, dann grinste er sardonisch, hob ein Bein und machte Pipi daran.
Mülleimermann fing an zu lachen. Er lachte, bis ihm Tränen aus den Augen quollen und seine rissigen, stoppeligen Wangen hinabliefen. Sein Wahnsinn wollte jetzt wie ein feiner Rollbraten nur noch, dass ihn die Wüstensonne garkochte und abrundete, ihm den letzten Hauch köstlichen Aromas verlieh.
Sie gingen weiter, der Mülleimermann und seine Eskorte. Als der Verkehr dichter wurde, krochen sie entweder mit am Boden schleifenden Bäuchen unter Autos durch oder sprangen über Motorhauben und Dächer in seiner Nähe - geschmeidige, stumme Begleiter mit roten Augen und weißen Zähnen. Als sie den Eisenhower Tunnel kurz nach Mitternacht erreichten, zögerte der Mülleimermann nicht, sondern schritt wacker ins klaffende Maul der Westseite hinein. Wie konnte er jetzt Angst haben? Wie konnte er sich mit solchen Wächtern fürchten?
Es war ein langer Weg, und er hatte, noch ehe er richtig begonnen hatte, schon jegliches Zeitgefühl verloren. Er tastete sich blind von einem Auto zum nächsten. Einmal griff er mit der Hand in etwas Nasses und ekelerregend Weiches, gefolgt von einem gräßlichen Wusch stinkenden Gases. Nicht einmal da zauderte er. Von Zeit zu Zeit sah er rote Augen in der Dunkelheit; sie waren stets vor ihm und führten ihn stets weiter.
Später nahmen seine Sinne frischere Luft wahr, er sputete sich so sehr, daß er einmal das Gleichgewicht verlor, von der Haube eines Autos herunterfiel und sich den Kopf schmerzhaft an der Stoßstange des nächsten anschlug. Wenig später sah er auf und erblickte wieder Sterne über sich, die jetzt vor der einsetzenden Dämmerung verblaßten. Er war draußen.
Seine Wächter waren verschwunden. Aber Mülleimer sank auf die Knie und sprach ein langes, wirres und zusammenhangloses Dankgebet. Er hatte die Hand des dunklen Mannes am Werk gesehen, und zwar überdeutlich.
Trotz allem, was er durchgemacht hatte, seit er vergangenen Morgen aufgewacht war und gesehen hatte, wie Kid seine Frisur im Fenster des Zimmers im Golden Motel bewunderte, war Müll so aufgekratzt, daß er nicht schlafen konnte. Statt dessen ging er weiter und liess den Tunnel hinter sich. Der Verkehr hatte sich auch auf der Westseite des Tunnels gestaut, aber nach zwei Meilen dünnte er soweit aus, daß man bequem gehen konnte. Jenseits des Mittelstreifens, auf den Fahrspuren nach Osten, erstreckte sich der Strom der Fahrzeuge, die den Tunnel passieren wollten, endlos. Am Nachmittag kam er vom Vail-Paß herunter nach Vail selbst und ging an den Wohnhäusern und Apartmentblocks für Singles vorbei. Inzwischen hatte die Müdigkeit ihn fast überwältigt. Er schlug ein Fenster ein, machte eine Tür auf und fand ein Bett. Dann wußte er bis zum frühen nächsten Morgen nichts mehr.
Das Schöne an religiösem Wahn ist, daß er die Macht hat, alles zu erklären. Wenn Gott (oder Satan) erst einmal als Ursache für alles akzeptiert wird, was in der Welt der Sterblichen geschieht, bleibt nichts dem Zufall überlassen... oder dem Wandel. Wenn erst einmal beschwörende Floskeln wie »wir sehen nun wie in einem dunklen Spiegel« oder »geheimnisvoll und unerforschlich sind seine Wege« angewendet werden, kann man die Logik frohen Herzens über Bord werfen. Religiöser Wahn ist einer der wenigen unfehlbaren Methoden, auf die Unbillen der Welt zu reagieren, weil er reinen Zufall vollkommen ausschließt. Für den wahren religiösen Fanatiker geschieht alles mit einem Sinn.
Aus diesem Grund war es nicht verwunderlich, daß der Mülleimermann auf der Straße westlich von Vail zwanzig Minuten lang mit einer Krähe sprach und überzeugt war, daß sie ein Sendbote des dunklen Mannes war... oder der dunkle Mann selbst. Die Krähe betrachtete ihn lange von ihrem Aussichtspunkt auf einem Telefonmast und
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