The Stand. Das letze Gefecht
packte seine Hand, hielt sie fest. »Stu, ist sie auch tot?«
»Sie ist gegen Viertel nach sieben in die Stadt zurückgekommen. Larry Underwoods Junge führte sie an der Hand. Er konnte nicht sprechen, du weißt ja, daß er stumm wird, wenn er sich aufregt, aber er hat sie zu Lucy gebracht.
Dann ist sie einfach zusammengebrochen.« Stu schüttelte den Kopf. »Mein Gott, wie hat sie es nur geschafft, so weit zu laufen... was hat sie nur gegessen... was hat sie die ganze Zeit gemacht? Ich will dir was sagen, Fran. Es gibt mehr Dinge auf dieser Welt - und außerhalb -, als ich mir in Arnette je habe träumen lassen. Ich glaube, diese Frau ist von Gott. Oder war es.«
Sie machte die Augen zu. »Sie ist gestorben, nicht wahr? In der Nacht. Sie ist zurückgekommen, um zu sterben.«
»Sie ist noch nicht tot. Sie müßte es sein, und George Richardson sagt, daß sie bald sterben wird, aber sie ist noch nicht tot.« Er sah sie offen und unverhohlen an. »Und ich habe Angst. Sie hat uns durch ihre Rückkehr das Leben gerettet, aber ich habe Angst vor ihr, und ich habe Angst davor, warum sie zurückgekommen ist.«
»Was meinst du damit, Stu? Mutter Abagail würde nie jemand ein Leid...«
»Mutter Abagail tut, was ihr ihr Gott befiehlt«, sagte er schroff. »Der Gott, der seinen eigenen Jungen ermordet hat, wie ich gehört habe.«
»Stu!«
Das Feuer in seinen Augen erlosch. »Ich weiß nicht, warum sie zurückgekommen ist oder ob sie uns überhaupt noch etwas zu sagen hat. Ich weiß es einfach nicht. Vielleicht wird sie sogar sterben, ohne das Bewußtsein wiederzuerlangen. George hält das für wahrscheinlich. Aber ich weiß, daß die Explosion... und Nicks Tod... und ihre Rückkehr... das alles hat den Leuten die Augen geöffnet. Sie reden von ihm. Sie wissen, daß Harold die Explosion ausgelöst hat, aber sie glauben, daß er Harold dazu veranlaßt hat. Verdammt, das glaube ich auch. Viele sagen, Flagg ist auch dafür verantwortlich, dass Mutter Abagail in diesem Zustand zurückgekommen ist. Ich weiß es nicht. Mir kommt es vor, als wüßte ich überhaupt nichts. Aber ich habe Angst. Als würde es ein böses Ende nehmen. Die hatte ich vorher nicht, aber jetzt.«
»Aber wir sind noch da«, sagte sie fast flehentlich. »Wir und das Baby. Oder nicht ?«
Er antwortete lange nicht. Sie glaubte nicht, daß er antworten würde. Und dann sagte er: »Ja. Aber wie lange noch?«
An diesem Tag, dem dritten September, kurz vor Sonnenaufgang, machten sich die Leute langsam - fast ziellos - auf den Weg zum Table Mesa Drive zu Larrys und Lucys Haus. Einzeln, zu zweit oder zu dritt. Sie setzten sich auf Treppenstufen der Häuser, auf deren Türen Harold sein X gemalt hatte. Sie saßen auf dem Bordstein oder auf dem Rasen, der am Ende dieses langen Sommers braun und vertrocknet war. Sie unterhielten sich wortkarg und gedämpft. Sie rauchten ihre Zigaretten und ihre Pfeifen. Brad Kitchner war unter ihnen, einen dick verbundenen Arm in der Schlinge. Auch Candy Jones war da, und Rieh Moffat hatte in einer Zeitungstasche zwei Flaschen Black Velvet mitgebracht. Norman Kellogg saß neben Tommy Gehringer, hatte die Ärmel aufgekrempelt und zeigte die kräftigen, sonnengebräunten und mit Sommersprossen übersäten Oberarme. Der junge Gehringer hatte die Ärmel in Nachahmung hochgekrempelt. Harry Dunbarton und Sandy DuChiens saßen auf einer Wolldecke und hielten Händchen. Dick Vollman, Chip Hobart und der sechzehnjährige Tony Donahue saßen in einem überdachten Gang ein wenig von Larrys Haus entfernt und ließen eine Flasche Canadian Club kreisen, den sie mit warmem Seven-Up hinunterspülten. Patty Kroger saß bei Shirley Hammett. Zwischen ihnen stand ein Picknickkorb. Der Korb war gut gefüllt, aber sie aßen kaum etwas. Gegen acht Uhr war die Straße voll von Menschen, die alle zum Haus sahen. Vor dem Haus stand Larrys Fahrrad, daneben George Richardsons schwere Kawasaki 650.
Larry beobachtete sie durch das Schlafzimmerfenster. Hinter ihm, in seinem und Lucys Bett, lag Mutter Abagail, bewußtlos. Der trockene Krankengeruch, der von ihr ausging, stieg ihm in die Nase, und er hätte kotzen mögen - aber er haßte es zu kotzen -, doch er rührte sich nicht. Dies war seine Buße, daß er mit dem Leben davongekommen war, während Nick und Susan sterben mußten. Hinter sich hörte er leise Stimmen, die Totenwache an ihrem Bett. George würde bald ins Krankenhaus fahren, um nach seinen anderen Patienten zu sehen. Es waren nur noch sechzehn.
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