The Walk: Durch eine zerstörte Stadt (German Edition)
es stellten sich ihm keine größeren Hindernisse in den Weg. Was natürlich der Fall sein würde. Eingestürzte Gebäude, aufgerissene Straßen, der Freeway eine einzige Knautschzone.
Doch das beunruhigte ihn nicht weiter.
Was ihm viel größere Sorgen bereitete, waren die unzähligen kleinen Hindernisse. Die Menschen. Die Verletzten und die Toten unter all dem Schutt. Der menschliche Abfall des Erdbebens.
Und dann gab es da die Obdachlosen und die Gangs, von denen er hoffte, dass sie zu beschäftigt sein würden mit Plündern, um sich um einen Mann auf dem Weg nach Hause zu scheren.
Er würde niemanden ansehen. Er würde einfach zügig weitergehen. Schon wieder verschwunden, bevor ihn irgendjemand bemerkte.
Einfach weitergehen. Quer durch die Stadt, über die Hügel und durch das Tal, ohne anzuhalten, bis zu seiner Haustür, wo seine Frau warten würde, gesund und munter.
Ganz einfach. Von A nach B.
Nicht zu kompliziert. Es gab keinen Grund, warum er das nicht schaffen sollte. Es gab Typen, die während der Wildwesttage durch ganze Staaten marschiert waren. Oder zumindest taten sie das in den Westernromanen, die seine Lakaien für ihn lasen und zusammenfassten.
Marty öffnete den Reißverschluss der Tasche und ging zu den Lastwagen und Wohnmobilen, um seine Ausrüstung zu vervollständigen.
Er würde nach Hause gehen.
KAPITEL ZWEI
Auf dem gelben Ziegelsteinweg
10:30 Uhr. Dienstag.
Marty kletterte aus dem Kamera-Truck. Er war startklar, die prall gefüllte Sporttasche hatte er sich wie einen Rucksack über die Schultern geworfen.
Er zog eine weiße Atemschutzmaske aus Papier über Nase und Mund, setzte seine Ray-Ban-Sonnenbrille auf, nahm einen tiefen, gefilterten Atemzug und machte sich auf den Weg.
Doch zunächst musste er noch mal an den Trümmern der Lagerhalle vorbei. Die überlebenden Crew-Mitglieder waren so konzentriert bei der Arbeit, dass sie Marty nicht bemerkten, genau wie er es sich erhofft hatte. Er wandte den Blick ab, aus Angst, jemand könnte ihn beim Zusehen beobachten und versuchen, ihn für das hoffnungslose Unterfangen zu rekrutieren.
Die drei Leichen, die die Überlebenden des Filmteams bisher geborgen hatten, lagen nebeneinander aufgebahrt auf dem geborstenen Asphalt unter dem Zelt, das eigentlich den ungesunden Fraß des Caterings vor der Sonne schützen sollte. Es war erstaunlich, dass das Zelt noch stand. Der Tisch aber war umgefallen, und Donuts, Süßigkeiten, Obst und Getränke lagen in einer Schneise aus zerstoßenem Eis auf der Straße verstreut.
Eine Frau, die Marty als eine der Hairstylistinnen erkannte, schluchzte neben der Leiche von Clarissa Blake, einem der über zwanzig Stars der Sendung. Die Hairstylistin befeuchtete eine Serviette mit Evian und versuchte, das Blut und den Schmutz aus Clarissas unnatürlich blassem Gesicht zu wischen, dem einzigen Teil ihres gefeierten Körpers, der noch zu identifizieren war. Es sah aus, als hätte jemand einer aufblasbaren Gummipuppe die Luft herausgelassen und ihr eine perfekte Clarissa-Blake-Maske übergezogen. Dieser Gedanke ließ das alles plötzlich überhaupt nicht mehr real wirken, eher wie eine groteske Requisite am Set eines Horrorfilms.
Und wieder schaute er schnell woanders hin, er wollte weder in die morbide Szene hineingezogen werden, noch zu eingehend darüber nachdenken. Clarissa Blake war tot, und es gab nichts, was Marty tun konnte, um das zu ändern. Außerdem war abgefülltes Wasser jetzt viel zu kostbar, um es für das Waschen der Toten zu verschwenden. Es konnte Tage, wenn nicht Wochen dauern, bis die Trinkwasserversorgung wieder funktionierte.
Bei diesem Gedanken bückte Marty sich schnell, schnappte sich ein paar Evian-Flaschen, die auf dem Boden herumlagen, und stopfte sie sich im Weggehen in die Jackentasche. Die kleinen Flaschen waren noch gekühlt.
Marty ging mitten auf der Straße die Santa Fe Avenue hoch, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich selbst und eventuell herabfallende Trümmer zu bringen. Das Wichtigste war jetzt, hohe Gebäude, Stromleitungen, Tunnel und Überführungen zu meiden und stattdessen auf freiem Gelände zu bleiben, auch wenn das mitunter einen Umweg von ein bis zwei Meilen bedeutete. Es wäre wirklich dumm, das Erdbeben zu überleben, nur um dann zwei Minuten später von Betonbrocken erschlagen zu werden.
Marty kannte sich nicht gut aus in der Innenstadt von L. A. Genau genommen war er in zehn Jahren höchstens ein halbes Dutzend Mal hiergewesen, aber er hatte sie
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