The Weepers - Und sie werden dich finden: Roman (German Edition)
einen Augenblick, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann erkannte ich umgeworfene Regale. Überall lag Verpackungsmaterial herum. Im Supermarkt herrschte das reinste Chaos.
»Hier war schon jemand«, sagte ich und trat zurück. Ich hoffte inständig, sie hatten nicht alle Nahrungsmittel mitgenommen.
Dad versuchte, die Türen zu öffnen, doch sie gaben nicht nach. »Gehen wir mal um das Gebäude herum. Vielleicht gibt’s einen Hintereingang.« Er ging voran, ich folgte ihm im Abstand von wenigen Schritten.
Auf der anderen Seite waren die Türen eingeschlagen. Rasiermesserscharfe Glasscherben bedeckten den Boden und glitzerten im Sonnenlicht. Da bemerkte ich etwas Rotes und sah genauer hin. Blutstropfen bedeckten den Asphalt, und einige der Scherben waren damit ver schmiert. Ich umklammerte die Pistole etwas fester. Viel leicht nur ein streunender Hund, der sich die Pfoten aufgeschnitten hatte.
Na klar.
Mir lief es kalt den Rücken herunter.
Dad erwähnte das Blut nicht weiter. Vielleicht wollte er mich nicht beunruhigen.
Zu spät.
Er konzentrierte sich auf das Innere des Gebäudes. Ich trat vor, doch er hob abwehrend einen Arm.
Ich blieb stehen und lauschte.
Stille.
1141 Tage lang hatte ich mich nach Stille gesehnt. Und jetzt konnte ich sie nicht ertragen.
Dad ging langsam in den Supermarkt. Ich wartete. Mein Fuß tappte in einem nervösen Rhythmus auf den Asphalt. Einen Augenblick später drehte Dad sich um und nickte mir zu. »Alles klar.«
Ich sprang über die Scherben und gab Acht, dass ich nicht hineinstieg – sie hätten sich mit Leichtigkeit durch die dünnen Sohlen meiner Turnschuhe gebohrt.
Das Innere des Supermarkts lag im Zwielicht. Ohne Strom waren die Halogenlampen an der Decke nutzlos. Das einzige Licht im Raum fiel durch die Glasfront am Vordereingang und kam kaum gegen die Rußschicht und die gewaltigen Ausmaße der Halle an.
Außerdem war es unglaublich stickig. Es war früher Nachmittag, und die Sonne hatte die Luft bereits so sehr erwärmt, dass es in dem Supermarkt heiß wie in einer Sauna war. Ich krempelte die Ärmel meines Shirts und die Beine meiner Jeans hoch.
»Komm schon, Sherry.« Dad trieb mich zur Eile an. Schweißtropfen glänzten auf seiner Stirn. Sein T-Shirt war völlig durchnässt und klebte an seinem viel zu dünnen Körper. Nach den Jahren im Bunker waren wir die sommerliche Hitze nicht mehr gewohnt.
Langsam schritten wir weiter in den Supermarkt hin ein. Umgeworfene Regale, zerfetzte Kleidungsstücke, zerrissene Bücher und Verpackungsmaterial bedeckten den Boden. Dad ging zu den Elektronikartikeln hinüber. Was wollte er dort?
Er suchte die Regale und den Boden ab, riss Kartons auf, die zwischen dem Müll lagen. Nach ein paar Minuten hatte er ein Funkgerät und ein paar Batterien gefunden. Er drückte auf verschiedene Knöpfe und hielt sich erleichtert das Mikrofon an den Mund. Ich lehnte mich gegen ein Regal mit kaputten Laptops, während er ins Mikrofon sprach und auf Antwort wartete. Sein Lächeln verschwand langsam, als er ein Funkgerät nach dem anderen aus der Verpackung riss und ausprobierte. Er schüttelte sie, als würde er sie dadurch zum Laufen bekommen.
Dann erreichte uns ein fauliger Geruch. Ich rümpfte die Nase. Vielleicht Milchprodukte oder Obst. Der Gestank hing schwer in der warmen Luft. Ich atmete durch den Mund, aber das half auch nicht viel.
»Suchen wir die Regale mit den Konserven«, sagte ich, als ich es nicht mehr länger aushielt. Mein Magen knurrte, als wäre ein Tier darin eingesperrt. Es wurde schlimmer, wenn ich an Essen dachte – von Süßigkeiten ganz zu schweigen.
1 141 Tage, seit ich etwas Süßes gegessen hatte, und noch länger, seit ich den rauchigen Geschmack eines über dem Lagerfeuer gerösteten Marshmallows im Mund hatte. Viel zu lange.
Resigniert legte Dad das letzte Funkgerät zurück und ging voraus zu den Regalen, in denen früher die Konservendosen gelagert wurden. Die Regale waren leer, doch überall lagen Dosen herum. Mein Magen krampfte sich noch stärker zusammen und erinnerte mich schmerzhaft daran, dass ich schon ziemlich lange nichts mehr gegessen hatte.
Ich steckte die Pistole in das Holster und hob eine Dose mit Mais auf. Die Farben auf dem Etikett waren zu einem matten Gelb verblasst. Ich warf sie auf den Boden und trampelte in der Hoffnung, sie aufzubekommen, darauf herum. Doch das einzige Ergebnis war eine Delle. Ich trat die Dose durch den Gang. Dann fiel mein Blick auf ein
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