Thea und Nat
erst auf, als die Leute von der Kommunion kamen.
»Laß uns gehen«, sagte Nat, »du bist ganz weiß.«
Thea machte eine Bewegung und stieß den Kleinen an, der dicht neben ihnen stand. Die Frau mit dem Persianer schob sich heran und machte ganz spitze Lippen. Die dünne alte Haut um ihren Mund lag in Plissee.
»Komm«, sagte Nat und zog an Theas Hand.
Sie waren schon an der Tür, als Thea den Pfiff hörte.
Das Postludium der Orgel verschluckte ihn schnell.
Thea blickte zurück und sah den Kleinen wieder am Arm der Frau hängen. Doch er schaute Nat und ihr nach.
»Er hat dich nicht aus den Augen gelassen«, sagte Thea, als sie im Auto saßen. Nat zuckte die Achseln.
»Hast du die Nase gesehen?« fragte Thea.
»Sieht aus, als sei ihm davon ein Stück abgeschnitten worden. Vielleicht hat die Mumie in dem Persianer ihn in eine Brotschneidemaschine gedrückt.«
»Was hast du getan, als ich noch täglich das Haus verließ?«
»Mich den Übersetzungen gewidmet, die du mir aufgeschwatzt hast.«
»Die können dich kaum ausgefüllt haben.«
»Doch«, sagte Nat, »da bin ich gewissenhaft.«
»Erzähl mir von einem typischen Tag«, sagte Thea.
»An typischen Tagen bin ich mit dem Kleinen um die AIster gejoggt.«
»Ich mag deinen Humor sonst ja ganz gerne«, sagte Thea.
»Ich weiß nicht, warum er mich so angesehen hat. Ist dir besser?«
»Es war der Weihrauch. Ich habe ihn noch nie riechen können.«
»Wann hast du denn Weihrauch gerochen?«
»Glorias Mutter ging manchmal mit mir in die Kirche.«
»Die fromme Großmutter und die ungetaufte Enkelin.«
»Ich durfte Gerda nicht Großmutter nennen. Das hätte sie nicht ertragen. Eine Frau, deren Liebhaber jünger sind als ihr Schwiegersohn, und dann sagt eine Großmutter.«
»Hast du Gerda gesagt?«
»Gott nein«, sagte Thea, »du hast vielleicht Ideen. Ich habe Frau Lüttich gesagt, wie alle, außer den Liebhabern und meinem Großvater und meiner Mutter.«
»Gott ja«, sagte Nat, »was für ein warmes Nest.«
»Laß uns lieber von einem Tag im Leben des Nat Landman reden.«
»Nachher«, sagte Nat.
Die Tanne war von beiden geschmückt worden.
»Jeder darf nach seiner Vorstellung«, hatte Nat gesagt.
Er sagte es jedes Jahr, und in jedem Jahr hatten sich Nats Vorstellung und Theas Vorstellung über das ganze Objekt verteilen lassen. In diesem Jahr gab es eine zweigeteilte Tanne. Thea liebte die grünen Zweige und die weißen Kerzen. Nat liebte Engelshaar und in Glitzerpapier gepackte Süßigkeiten. Er liebte kleine Rasseln und Trommeln und eine goldglänzende Trillerpfeife, die in einer Wundertüte für Jungen gewesen war. Er liebte es ganz besonders, in all den Tand den Schmuck seiner Mutter zu hängen, den er Thea geschenkt hatte und den sie nie trug. »Unten Kind und oben kühl«, sagte Nat, als er den Baum betrachtete.
»Die Rollen, die wir spielen«, sagte Thea.
Der Baum sah schön aus. Trotzdem.
Thea hatte am Nachmittag einen Truthahn gebraten, und Nat aß abends ausnahmsweise eine große Portion.
Er war ein miserabler Esser geworden. Ihn quälte der Gedanke, auch nur ein Gramm zuzunehmen.
»Ich muß tragbar sein.«
»Du meinst erträglich.«
»Ich meine movable. Ein Möbel. Dann kannst du mich immer mitnehmen.«
Nat, das Möbel, war zu dünn geworden in dem Jahr.
Thea nutzte es, daß er an diesem Abend nicht an die Tragbarkeit dachte, und tat ihm zu dem Truthahn auch noch von den Kartoffeln und den Preiselbeeren auf den Teller.
»Damit du nicht durchbrichst.«
»Das habe ich hinter mir«, hatte Nat gesagt.
Als sie aus der Kirche kamen, war noch der Bratenduft in den Zimmern, und Nat hatte Hunger.
Thea stellte ihm den Teller hin, ehe er sich anders besinnen konnte, und brachte Wein.
»Einander Brot und Wein«, sagte Nat.
»Weihnachten macht dich poetisch«, sagte Thea.
»Das stand in dem Gesangbuch. Die Katholiken singen es zu einer Hochzeit. Einander Brot und Wein.«
»Ganz schön leiblich«, sagte Thea, »fang an.«
»Womit?«
»Ein Tag aus deinem Leben.«
»Der 25. Dezember ist schon angebrochen«, sagte Nat.
»Du bist doch ganz wach.«
Nat seufzte.
»Als Thea noch täglich das Haus verließ«, sagte er.
»Es ist zehn, und du hast mich zurückgelassen«, sagte Nat, »somit ein typischer Tag.«
»Als ich noch einen Vertrag hatte«, sagte Thea.
»Du hattest noch einen Vertrag und einen Termin und außerdem deinen Autoschlüssel liegenlassen. Ich sehe ihn kurz nach zehn neben der Scheibe Toast liegen, die du wieder nicht
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