Themba
Zweifel«, sagt sie einmal abends verschwörerisch zu Nomtha und mir, bevor sie uns einen Gutenachtkuss auf die Stirn gibt. »Auch wenn er ihn seit damals, als er plötzlich verschwand, ebenso wenig wiedergesehen hat wie wir. Aber vielleicht können wir gemeinsam eine Spur finden.«
Vorm Einschlafen überrascht mich Nomtha mit einem Satz, den ich von ihr nicht erwartet hätte: »Ich sehe, dass du ihn nicht magst, Themba. Ich auch nicht.«
»Warum magst du ihn nicht, Nomtha?«
»Ich weiß nicht«, flüstert sie leise.
Mir geht es genauso. Jedenfalls damals noch.
Ein paar Wochen später wird die Mutter von Sipho, der in der Klasse neben mir sitzt, so krank, dass er längere Zeit nicht zur Schule kommen kann, weil er sich um sie und die kleineren Geschwister kümmern muss. Seit Onkel Luthando bei uns wohnt, ist unser Gemüsegarten so gut in Schuss, dass Mutter mir ab und zu erlaubt, Sipho einen Kürbis oder ein paar Mohrrüben zu bringen. Ich darf niemals bei ihm reinkommen, sondern muss ihm das mitgebrachte Gemüse vor dem Haus geben.
»Ist deine Mutter denn so krank?«, frage ich ihn einmal direkt.
»Das ist es nicht nur...«, antwortet er unsicher. »Sie will einfach nicht, dass jemand außer uns sieht, wie es ihr geht.«
Ganz offensichtlich will er mit mir nicht weiter über seine Mutter reden. Sipho ist von allen Mitschülern meiner Klasse der Einzige, der bei uns in der Nähe wohnt, sodass wir einander auch nach der Schule besuchen könnten. Es sind gerade mal zwanzig Minuten flussabwärts und über die beiden östlichen Hügel. Sonst wohnen hier in der Umgebung nur kleinere Kinder und mit denen kann Nomtha mehr anfangen als ich. Eigentlich hätte ich Sipho gern zum Freund.
Ihm scheint Ähnliches durch den Kopf zu gehen. »Spielst du gern Fußball?«, fragt er ein bisschen schüchtern.
Okushiyekileyo eQunu
Überleben in Qunu
Ich nicke. »Hast du denn einen Ball?«
Sipho macht auf der Stelle kehrt, läuft ins Haus und kommt einen Moment später mit einem richtigen Lederball wieder zum Vorschein.
Bewundernd nehme ich ihn in die Hand. Er ist nicht neu, aber gut eingefettet und perfekt aufgepumpt. »Super!«, sage ich anerkennend. »Ist das deiner?«
»Von meinem großen Bruder«, antwortet Sipho. Ich spüre, wie stolz er auf seinen Bruder ist und dass er ihn offenbar vermisst.
»Wie alt ist dein Bruder?«, frage ich nach.
»Er wäre jetzt zwanzig«, sagt Sipho leise.
Wieso wäre?
Sipho schaut mich zum ersten Mal direkt an. Für einen Moment ist er nicht schüchtern, sondern nur bitter, grenzenlos bitter. Vielleicht auch traurig, dass ihn sein Bruder aus irgendeinem Grund im Stich gelassen hat, nachdem er ihm diesen Klasseball geschenkt hat.
»Er ist letztes Jahr gestorben«, fügt Sipho hinzu und nimmt mir den Ball aus der Hand. Er legt ihn vor sich ins Gras, nimmt kurz Anlauf und legt dann einen Abschlag von bestimmt dreißig Metern vor.
» Yiza - komm!«, schreit er und stürzt vor mir den Abhang hinunter.
An diesem Abend komme ich so spät nach Hause, dass Mutter schon anfängt, unruhig zu werden.
Von da an bringe ich etwa zweimal pro Woche Mohrrüben, Spinat oder Kohl zu Sipho. Als die Erntezeit zu Ende geht und wir kein Gemüse mehr zu verschenken haben, besuche ich ihn trotzdem weiter. An den anderen Nachmittagen muss ich Großvater helfen, den Hühnerstall zu säubern und seine paar Ziegen zu hüten. Auch das Sammeln von Brennholz habe ich schon lange von Mutter übernommen. Nomtha hilft Mutter im Haus und geht mit ihr und den anderen Frauen hinunter ans Flussufer zum Waschen und Wasserholen.
Wenn Sipho und ich zusammen sind, reden wir eigentlich nie viel miteinander. Wir spielen fast immer Fußball. Egal ob es so heiß ist, dass selbst die Ziegen und Kühe nur noch ermattet im Schatten liegen und nichts mehr fressen, oder so kalt, dass wir unseren Atem als kleine Dampfwolken ausstoßen - Sipho und ich spielen immer Fußball. Die ersten paar Wochen spielen wir ausschließlich zu zweit, wobei nur ab und zu seine jüngeren Geschwister zuschauen dürfen, wenn seine Mutter Ruhe braucht. Je nach Stimmung sind wir entweder knallharte Gegner, die mindestens um den ersten Platz in der südafrikanischen PSL , der ersten Liga des Landes, kämpfen, oder aber wir spielen zusammen in einem Zweierteam, in dem wir abwechselnd alle wichtigen Positionen von der Verteidigung bis zum Sturm übernehmen und uns gegenseitig mit astreinen Pässen und Vorlagen versorgen.
Natürlich trainieren wir für alle
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