Themba
euren Vater erinnern. Am Ende war ich so besorgt, dass ich mir erneut Geld borgte, um selbst nach iGoli zu fahren und nach ihm zu suchen. Zwei Tage vor meiner geplanten Abreise erreichte mich ein Brief ohne Absender. Erst dachte ich, der Umschlag sei leer, dann jedoch fand ich einen kleinen, zweimal zusammengefalteten Zettel darin. Meine Hände bebten so, dass ich ihn kaum öffnen und lesen konnte.«
Nomtha und ich bemerken, dass auch jetzt ihre Hände zittern. Sie dreht den kleinen Bilderrahmen nervös hin und her. Schließlich hält Nomtha es nicht mehr aus und ruft: »Was stand denn auf dem Zettel, Mama?«
Mutter antwortet nicht, sondern beginnt, an der Rückseite des Rahmens einige Klemmen zu lösen, bis sie die dunkle Pappe hinter dem Foto vorsichtig herausnehmen kann. Dabei fällt ein abgerissenes Stück Papier vor uns auf den Boden. Unsicher hebe ich es auf und reiche es Mutter. Ihre Hände beben so sehr, dass es einen Moment dauert, bis sie den Zettel geglättet hat, um ihn vorzulesen. Sie zeigt auf die wenigen, mit einem Kugelschreiber offenbar hastig notierten Zeilen: »Das ist seine Handschrift.«
Dann räuspert sie sich und liest langsam vor, wobei sie jede einzelne Silbe betont: »›Geliebte Mandi, die Vergangenheit hat mich eingeholt... Ich muss etwas tun, und erst wenn das erledigt ist, kann ich zu dir und den Kindern heimkommen. In Liebe… Dein Vuyo.‹« Als dürfte der Zettel nicht zu lange ungeschützt bleiben, schiebt sie ihn umgehend wieder hinter die schwarze Pappe des Rahmens. Dann lehnt sie sich erschöpft zurück und schweigt eine Weile.
»Wie lange ist das her, Mama?«, unterbreche ich schließlich die Stille in unserer Hütte. Die Trommeln der Sangomas sind nicht mehr zu hören und selbst die Frösche und Grillen scheinen ihr nächtliches Konzert mit einem Mal beendet zu haben.
»So lange...«, gibt sie müde zurück. »In einem Monat sind es genau sieben Jahre, dass ich euren Vater das letzte Mal gesehen und ihn berührt habe, als er von hier fortging, den Pfad hinunter zum Fluss und von dort zur Haltestelle der Minibusse, um zum Bahnhof nach iGoli zu fahren.«
Ihre letzten Worte spricht sie so leise, dass wir sie kaum noch verstehen können. Zum ersten Mal fällt mir auf, dass Mutter keine junge Frau mehr ist. Das jahrelange Warten mit all den Ängsten um ihn und Sorgen um uns hat sie zermürbt und müde werden lassen, vielleicht sogar noch mehr als die harte Arbeit während der Erntezeit auf den Feldern anderer Leute, mit der sie kaum genug verdient, um unsere kleine Familie über Wasser zu halten.
Auch wenn ich nach der Schule so viel wie möglich mithelfe beim Feuerholzsammeln, Wasserholen und bei der Arbeit in unserem kleinen Gemüsegarten, ist uns doch seit langem klar, dass es so auf Dauer nicht weitergehen kann. Meine Schuluniform besteht mehr aus Flicken als dem ursprünglichen Stoff, und wie wir Schulkleidung für Nomtha kaufen sollen, wenn sie zu Beginn des neuen Jahres endlich auch zur Schule geht, steht noch in den Sternen.
»Ndingumpha ochutyiweyo« , flüstert Mutter in die Stille. »So schaffen wir es einfach nicht.«
In dieser Nacht ahnen wir nicht, dass sich schon bald einiges in unserem Leben einschneidend verändern wird. Wir bleiben noch lange beieinander sitzen, ohne ein Wort zu sprechen: Mutter auf dem Stuhl mit dem Bilderrahmen in der Hand, Nomtha und ich auf dem Boden, den Rücken gegen ihre Beine gelehnt. Jeder von uns lauscht für sich in die endlose Stille jener Nacht. Schließlich fällt Nomtha als Erste in Schlaf. Mutter und ich tragen sie gemeinsam ins Bett, ohne sie aufzuwecken.
Etwa ein halbes Jahr später kommt Großvater eines Morgens in aller Herrgottsfrühe den Pfad zu uns heraufgeeilt und klopft schwer atmend an unsere Tür: »Nun macht schon auf«, schnauft er ungeduldig. Obwohl er meist einen Stock benutzt, ist er noch erstaunlich rüstig für sein hohes Alter, das niemand genau kennt, nicht mal er selbst. »Mandisa!«, ruft er, und spätestens jetzt wissen wir, dass es etwas Ernstes sein muss, denn normalerweise nennen alle Erwachsenen unsere Mutter Mandi. Großvater benutzt ihren vollen Vornamen nur, wenn er streng sein will.
Mutter hat inzwischen den schweren Kessel mit heißem Wasser vom Feuer genommen und ihm die Tür geöffnet. Besorgt schaut sie ihn an: » Uyaphila , tata - bist du in Ordnung, Vater?«
Obwohl sie in dieser Zeit öfter daheim ist - die nächste Maisernte beginnt erst in einigen Wochen -, steht sie doch jeden
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