Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
fragile Gleichgewicht zwischen Trauer und Glück, das ich mit Mühe aufrecht hielt. „Wir dachten, dass deine Schwester vielleicht dorthin gehen möchte … irgendwann. Es ist leichter für sie und gibt kein Gerede, wenn sie dazu nur in den Wald gehen muss.“
„Ich weiß nicht, ob sie das tun wird, aber es war eine gute Idee“, sagte ich langsam. „Ehrlich gesagt weiß ich gar nichts. Sie hatte sich so abgekapselt, von mir, vielleicht auch von sich selbst. Aber irgendwie hat Matos Tod einen Knoten gelöst und …“ Ich konnte nicht weitersprechen, weil sich ein Bild von Polly mit ihrem toten Retter in den Armen vor die tropfende Haarsträhne schob. „Ich hätte nicht gedacht, dass er sie wirklich retten würde, wenn es hart auf hart käme. Das war unglaublich mutig“, sagte ich schließlich und meine Stimme zitterte dabei.
„Ich würde für dich dasselbe tun.“ Louis klang so angespannt, dass ich die Aussage im ersten Moment falsch verstand. Ich dachte, er sei noch eifersüchtig und wolle betonen, dass er Mato in Sachen Heldenhaftigkeit in nichts nachstehe. Gerade wollte ich schon etwas entsprechend Angefressenes erwidern, da drang die Bedeutung seiner Worte erst mit voller Wucht in mein Bewusstsein.
„Was?“ Meine innere Balance drohte zu kippen. Ich wusste nur nicht, in welche Richtung.
„Warum tu ich mir das an? Warum riskiere ich mein Leben für eine Stadt, die ich hasse? Wenn sie sie dem Erdboden gleichgemacht hätten, hätte auch Dante nichts mehr hier gehalten und wir hätten endlich von hier abhauen können.“ Er strich sich mit einer wütenden Handbewegung die nassen Haare aus dem Gesicht, vernichtete dabei meinen tropfenden Rettungsanker. Fast hektisch suchte ich nach etwas anderem, das meine Aufmerksamkeit absorbieren konnte, und mein Blick blieb an seinen vom Regenwasser gebündelten Wimpern kleben. „Es tut mir leid, wenn ich in den letzten Wochen gemein zu dir war. Ich wusste nicht, wie ich es sonst durchziehen sollte. Ich bin immer noch der Meinung, dass ich recht damit hatte, was ich am Fluss gesagt habe“, stieß er aus. „Und ich kann es mir einreden und kann versuchen, es dir einzureden. Aber offenbar hast du auch recht damit, was du gesagt hast.“ Seine Stimme klang nun sanfter. „Dass wir nicht mehr ohne einander leben können. Zumindest kein lebenswertes Leben. Zumindest ich nicht.“ Er drehte mir den Kopf zu, sah mich halb gequält, halb hoffnungsvoll an.
Ich wusste, dass ich glücklich hätte sein müssen, das zu hören, sogar überglücklich, aber ich hatte noch nicht mal seinen ersten Satz verarbeitet. Ich würde für dich dasselbe tun.
Egal, was passieren würde, ich wollte auf gar keinen Fall, dass er jemals dasselbe für mich tun würde wie Mato für Polly. Das war das Schrecklichste, was ich mir überhaupt vorstellen konnte. Bilder aus meinem schlimmsten Albtraum kehrten zurück, Louis tot im Wald, Atalante, die mich nicht zu ihm ließ, der Wind der mich von ihm wegtrieb … Die Vorstellung versetzte meinem trudelnden inneren Gleichgewicht einen so abrupten Schlag, dass es in sich zusammenfiel. Ich begann zu zittern.
„Nein!“, rief ich panisch und sprang auf die Füße. „Versprich mir, dass du niemals, niemals, niemals dasselbe für mich tust!“
Louis, der vermutlich mit einer anderen Reaktion gerechnet hatte, stand ebenfalls schnell auf. „Ell …“ Er hob hilflos die Arme.
„Unter gar keinen Umständen. Versprich es. Bitte!“
„Wie kann ich dir das versprechen?“
„Versprich's mir. Versprich's mir. Versprich es mir!“ Ich merkte, dass ich hysterisch wurde und Louis merkte es auch. Er versuchte, mich in seine Arme zu ziehen, und murmelte irgendetwas Beruhigendes, was in meiner Verwirrung nicht zu mir durchdrang. Er schien besser zu verstehen als ich selbst, was mit mir los war. Ich wollte ihn abschütteln, weil im Augenblick nichts anderes als dieses eine Versprechen zählte, und stemmte mich mit den Armen gegen ihn, als es mir nicht gelang. Lieber würde ich für immer weglaufen, von Themiskyra, von Louis, als auch nur eine Sekunde länger den Gedanken zu ertragen, dass es mir wie Polly gehen könnte, wenn ich blieb. Und ihm wie Mato. Aber er ließ mich nicht los und ich spürte, wie mir die Kraft ausging. Immer noch wiederholte ich monoton meine Bitte.
„Ell. Es wird doch alles gut.“ Sein eindringlicher Blick wühlte in meiner Seele. Er sah zuversichtlich aus, so als ob er glaubte, was er sagte, aber ich konnte nichts außer
Weitere Kostenlose Bücher