Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
etwas.
Versteinert sah ich zu, wie hintereinander siebzehn Männer auf den Hof herausgeführt wurden. Über die Köpfe waren ihnen grobe Leinensäcke gezogen worden, ihre Hände waren hinter dem Rücken gefesselt. Mein Blick flog hektisch von einem zum anderen, versuchte, das Undenkbare auszuschließen. Zu klein. Zu groß. Zu dick. Zu muskulös. Zu … Louis? Ich war mir nicht sicher. Die Statur passte, die Kleidung auch.
Und er hinkte.
Die Welt schwankte. Damit sie mich nicht zu Fall brachte, klammerte ich mich am Fensterbrett fest und überlegte fieberhaft. Welchen Fuß hatte Louis nachgezogen, als ich ihn gestern gesehen hatte? Ich konnte mich nicht erinnern. Ich konnte mich verdammt noch mal nicht erinnern. Verzweifelt schlug ich meine Stirn an die Fensterscheibe, um mein panisches Gehirn zur Ordnung zu rufen.
Ein Aufschrei ließ mich rasch aufsehen. Einer der 'Shimet war hingefallen oder hatte sich hinfallen lassen. Er wurde von der Amazone an seiner Seite ungeduldig wieder hochgerissen und weitergezerrt. Ein anderer begann zu brüllen und blind um sich zu schlagen, bis ihn eine Kugel zum Schweigen brachte. Sein Körper schlug bäuchlings auf dem Kiesboden auf, so hart, dass es staubte. Der helle Stoff des Leinensacks färbte sich rot. Galle brodelte in meinem Magen und in meinem Mund zog sich alles zusammen. Schnell schluckend sah ich von der Leiche weg und suchte wieder den Mann, der Louis sein musste. War das der Körper, an den ich mich geklammert hatte? Waren das die Arme, die mich umschlungen hatten? Müsste ich es nicht sehen? Wissen? Spüren? War es doch ein anderer? Nein, er musste es sein. Alle anderen konnte ich anhand ihres Körperbaus oder der Kleidung, die sie trugen, ausschließen. Ich begann am ganzen Leib zu zittern.
… hilf mir hilf mir hilf mir …
Die Männer wurden nebeneinander vor der Brandruine der Lagerhalle aufgestellt. Dann betrat Atalante die Bühne. Bekleidet mit einer blutroten Tunika schritt sie hoheitsvoll auf die Reihe der Verurteilten zu. Niemals hatte ich geglaubt, dass ich so hassen könnte, dass ich sie so hassen könnte. Und plötzlich wusste ich, was ich machen musste.
Ich würde die Wahrheit einfach herunterschreien. Das würde für genug Wirbel sorgen, um die Hinrichtung zumindest zu verzögern. Und wenn ich dann irgendwie beweisen konnte, dass Louis unschuldig und nur ein Opfer von Atalantes Wahn war …
Voll aufkeimender Hoffnung griff ich zum Hebel, der das Oberlicht öffnete. Öffnen sollte.
Noch etwas hatte sich verändert, während ich geschlafen hatte. Ein dickes Vorhängeschloss verband den Griff über eine Kette mit dem Heizkörper unter dem Fenster. Im ersten Moment war ich zu perplex, um die Konstruktion zu begreifen, und so zerrte ich ohne Sinn und Verstand am Hebel, drückte ihn mit aller Kraft nach oben und stemmte mich gegen die straff nach unten gespannte Kette, aber er bewegte sich nicht im Geringsten.
Ein abgehackt klingender Ausruf brachte meine Aufmerksamkeit zurück zum Geschehen auf dem Hof. Ich sah, wie die Amazonen, die den 'Shimet in einer Reihe gegenüberstanden, die Gewehre anlegten, und begann zu hyperventilieren, während ich immer noch verzweifelt am Griff rüttelte.
Zerbrich das Fenster, tönte mein Verstand durch mein kopfloses Entsetzen. Ohne zu zögern packte ich einen Stuhl an der Lehne und schwang ihn herum, auf die Glasscheibe zu. Der Knall des berstenden Fensters ging im Getöse der Gewehrsalven unter.
Nein.
Alles, was ich hörte und sah, wurde unscharf und gleichzeitig viel zu grell, um es auch nur eine Minute länger zu ertragen.
Nein.
Glassplitter flogen nach draußen und drinnen, als ich immer wieder auf die Scheibe einhieb.
Nein.
Glassplitter trafen mein Gesicht und mein Herz.
Nein.
Undeutlich hörte ich ein Poltern, als ich den Stuhl zu Boden fallen ließ, meinen stoßartigen Atem und das Schluchzen, das zwischen den viel zu schnellen Atemzügen meiner heiseren Kehle entwich. Kein Fenster trennte mehr die Sicht auf die Toten, die verkrümmt vor den verkohlten und vom Kugelhagel durchlöcherten Überresten des Lagergebäudes im Staub lagen. Doch meine Augen waren nur auf einen von ihnen gerichtet. Dieser Anblick war das Letzte, was ich bewusst wahrnahm.
Ohne nachzudenken stützte ich meine Arme auf das Fensterbrett und zog mich hoch. Scharfe Splitter bohrten sich in meine Handflächen, aber der tosende Schmerz in meinem Herzen ließ nicht zu, dass ich es spürte. Ich schob meinen Oberkörper durch das
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