Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
Fenster. Spitz gezackte Scherben, die noch im Rahmen steckten, schnitten mir in die Arme, schlitzten mein Oberteil und die Haut darunter auf, Wärme floss über meine Unterarme und meinen Bauch, aber es war mir egal. Dort, wo ich hinging, brauchte ich keinen Körper. Ich schloss die Augen, beugte mich vor und ließ los.
Kapitel 22
Etwas … vieles zog mit aller Kraft an mir, doch es war stärker und wärmer als die Schwerkraft.
Aber ich will die Schwerkraft! beschwerte sich mein Herz, fuhr seine Stacheln aus und wühlte wütend in meiner Brust. Mein Körper jedoch war zu kraftlos, um zu spüren, was außen war, zu erschöpft, um der Weisung meines Herzens Folge zu leisten, und zu schwach sogar, um nur die Augenlider zu heben.
Erst langsam durchdrangen wieder Geräusche meine Agonie.
„Ell.“ Das war Corazon. Ich erkannte die Ungeduld in ihrer Stimme.
„Ell!!!“ Den hysterischen Unterton kannte ich auch. Victoria. „Ell, kannst du mich hören?“
„Hol ein Handtuch.“
Dann ein Klatschen. Etwas Weiches, viel zu Warmes auf meinem Bauch und meinem linken Arm. Mehr Klatschen und dazu die vage Empfindung von Schmerz in meinem Gesicht. Ich wurde wütend. Konnten sie mich nicht mal in Ruhe sterben lassen?!
„Autsch, verdammt“, stieß ich aus und schlug die Augen auf.
Mehr Schmerz, obwohl die Schläge auf meine Wangen ausblieben. Soviel Schmerz, dass ich nach Atem rang, aber das tat noch mehr weh, deswegen hielt ich die Luft wieder an. Ein braunes und ein grünes Augenpaar wurden im grauen Einerlei sichtbar. Wo kamen sie her?
„Habt ihr endlich den Schlüssel?“, murmelte ich verwirrt. Der Schlüssel war irgendwie einmal wichtig gewesen, das wusste ich noch.
„Ja, wir sind in das Gästezimmer geschlichen, in dem deine Mutter die letzte Nacht geschlafen hat, und haben ihre Kleidung von gestern durchsucht. Sie hatte den Schlüssel noch in der Tasche“, erklärte der Mund unter den braunen Augen schnell.
„Ell, alles ist gut. Louis ist am Leben“, sagte der Mund, der zu den grünen Augen gehörte.
„Nein … Wart ihr nicht dabei? Sie haben ihn … sie haben …“, stammelte ich.
„Haben sie nicht. Er lebt. Er ist frei“, unterbrach mich Corazon harsch.
„Was Corazon sagt, stimmt. Dem Schnuckel geht's gut. Wir wissen nicht, was passiert ist. Aber er war nicht unter den Männern, die hingerichtet wurden.“
Mein Blick wanderte zu Victoria, und ich erkannte, dass sie die Wahrheit sagte. Ein Zittern durchfuhr mich, gefolgt von einem tiefen Glücksgefühl. Dann wurde ich bewusstlos.
Alles war grässlich grell. Ich blinzelte vorsichtig zwischen meinen Wimpern hindurch, aber ich konnte nichts sehen; die tiefstehende Herbstsonne schien mir direkt ins Gesicht. Ich wollte mich vom Fenster wegdrehen, aber sobald ich meine Bauchmuskeln anspannte, fuhr mir ein stechender Schmerz durch den Leib. Ich ließ mich auf die Matratze zurückfallen und schnappte nach Luft.
„Schwing die Hufe, du unnütze Kröte, und schließ die Vorhänge“, keifte es an meiner Seite.
Kröte, dachte ich verwirrt. Ich sammelte Kraft, um zu erwidern, dass ich es sofort erledigen würde, wenn ich mich wieder würde rühren können, da vernahm ich ein verächtliches „Pfff“ und das Rattern der Laufrollen in der Vorhangschiene. Durch meine Augenlider erkannte ich, dass sich der Raum verdunkelte.
„Wenn du schon stehst, kannst du mir gleich noch eine Decke holen und einen Tee bringen. Und mach die Tür hinter dir zu. Na los! Ich bin alt, lange kann ich nicht darauf warten!“ Auch diese Worte, die zweifelsfrei von Philippa stammten, waren nicht an mich gerichtet.
Ich schlug die Augen auf und sah Polly gerade noch mit genervter Miene das Zimmer verlassen.
„Na, endlich bist du wach.“ Die alte Dame schob sich mit ihrem Rollstuhl in mein Blickfeld. „Naja, als ich in deinem Alter war, konnte ich auch noch schlafen wie ein Murmeltier.“
„Murmeltier.“ Meine Stimme war immer noch heiser.
Sie sah mich eine Weile streng und skeptisch an, dann brach es aus ihr heraus: „Was hast du dir nur dabei gedacht, du dumme Gans.“
„Gans.“
„Dante hat dir doch ausrichten lassen, dass du dir keine Sorgen machen sollst! Und du hast nichts Besseres zu tun, als dich aus dem Fenster zu stürzen. Und das so halbherzig, dass du verblutet wärst, bevor du unten angekommen wärst, wenn deine Schwestern dich nicht gerettet hätten. Wenn du dich entleiben willst, mach's richtig und stürz dich in dein Schwert, wie es sich gehört.
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