Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
eine gewisse Zeit seinem Dunstkreis entschwindest?“
Damit berührte sie einen, den wunden Punkt. Dennoch nahm ich mit Wohlwollen wahr, dass sie nicht boshaft klang, als sie mir die Frage stellte. Eher betont neutral mit einem Hauch Neugierde.
„Ist zuversichtlich, dass ich zurückkehre“, antwortete ich knapp. In der Tat hatte er wesentlich weniger dramatisch reagiert, als ich befürchtet hatte und als ich es empfand.
„Ist doch nur für ein paar Tage“, hatte er gesagt.
„Zu lang“, hatte ich mich beschwert.
„Es wird schnell vergehen.“ Ich wusste zwar, dass er mir nur Mut zusprechen wollte, aber das klang mir jetzt fast zu gleichgültig.
„Dir vielleicht“, sagte ich anklagend.
„Ganz im Gegenteil. Hier werden sich die Stunden in die Länge ziehen, aber du wirst viel Neues sehen und die Zeit wird verfliegen.
„Neuen Ginster“, schnaubte ich. „Spannend.“
Anscheinend merkte Louis, dass man mir mit rationalen Argumenten im Moment nicht zu kommen brauchte und so schloss er mich einfach in die Arme und …
„He!“, rief Polly und riss mich aus meinen Gedanken. „Hörst du mir überhaupt zu?“
„Äh, Karte kopieren, Proviant und Ausrüstung planen, Atalante in Kenntnis setzen“, gab ich die Stichworte wieder, die in der letzten Minute von weit weg an mein Ohr gedrungen waren.
Und mit solcherlei Aktivitäten vergingen die nächsten Wochen, nebenher lernte ich zu töpfern und Körbe zu flechten – eine Tätigkeit, die sich im Übrigen ganz hervorragend für verliebte Tagträumereien eignete, wie ich feststellte. Immer wieder mischten sich jedoch auch ungerufene Bilder aus meinen Albträumen und alternative Schreckensszenarien dazwischen, von denen ich mich nur mit Mühe lösen konnte. An der Oberfläche war ich unbeschreiblich glücklich zu dieser Zeit, aber tief in mir brodelten Angst und Zweifel, ob ich mich im Wald wirklich richtig entschieden hatte, die Vatwaka laufen zu lassen.
Im Morgengrauen eines strahlend schönen Hochsommertags brachen Polly und ich mit Sack und Pack auf. Von unserer Mutter und den Mädels hatten wir uns schon am Abend zuvor verabschiedet; der Vorteil einer Amazonenmutter ist wohl, dass sie einen nicht mit unzähligen Ermahnungen und guten Ratschlägen aufhält, bevor sie einen ziehen lässt.
Der Abschied von Louis war mir, wie zu erwarten, wesentlich schwerer gefallen und im Gegensatz zu meiner Mutter hatte er nicht davon abgesehen, mir immer wieder Verhaltensmaßregeln einzuschärfen und Tipps zu geben, was ich geduldig über mich ergehen ließ, auch wenn ich gefühlte tausend Mal „ich weiß!“ sagen musste.
Am Morgen erwartete er mich im Stall, half mir, Hekate zu satteln und das Gepäck zu verstauen. Nun war er es, dem es unglaublich schwer fiel, mich gehen zu lassen.
„Ich muss jetzt los“, wiederholte ich schließlich die Worte, die mir mein Verstand schon seit geraumer Zeit soufflierte.
„Ich weiß.“
„Ich werde mich beeilen und versuchen, ganz schnell wieder zurückzukommen.“
„Okay.“
„Dann gehe ich jetzt.“
„In Ordnung.“
„Jetzt.“
„Gut.“
Pause.
„Louis?“
„Ja?“
„Du müsstest mich loslassen, sonst komme ich nicht weg.“
Pause.
„Geht nicht.“
„Was machen wir da jetzt?“
„Weiß nicht.“
„Würde ein Abschiedskuss helfen?“
„Bestimmt.“
So und so ähnlich ging es noch eine ganze Weile, bis wir uns von einander loseisen konnten. Polly tappte inzwischen so ausgiebig mit ihrem Fuß auf dem Boden herum, dass ich befürchtete, sie würde mit ihrem ungeduldigen Gestampfe alle wecken.
Keine Menschenseele begegnete uns unterwegs, und obgleich ich mich in den Wäldern, die wir durchritten, zu oft und ganz genau umsah – ein Bestandteil meiner Paranoia, den ich noch nicht hatte ablegen können – konnte ich kein Anzeichen von menschlicher Präsenz geschweige denn von Vatwaka feststellen.
Wir brauchten viel länger als bei meinem ersten Ritt mit Tetra in die entgegengesetzte Richtung, dennoch kam mir der Weg viel kürzer vor. Immer wieder hatte ich unterwegs versucht, mich an die Strecke zu erinnern, aber die Situation jetzt hatte so wenig mit der damals gemein, dass es mir nicht gelang. Als die Pfeilsichere mich gerettet und mitgenommen hatte, hatte kühle Dunkelheit weite Teile der Landschaft verschluckt, jetzt brannte die Sonne auf uns herab und wo keine Wälder unseren Pfad säumten, sah man kilometerweit. Aber auch die jetzige Ell war eine völlig andere als die, die sich vor
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