Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
wenn es doch herauskommt?“
„Wird es nicht.“
„Siehst du, das ist genau das, was ich meine. Du verschließt deine Augen vor der Wirklichkeit. Es kann nicht immer so weitergehen. Irgendwann wirst du leichtsinnig, machst einen Fehler – und was dann? Wir waren ein paar Mal schon so knapp dran, dass alles rausgekommen wäre.“
Es rührte mich fast, dass sie wir sagte und dass sie aus Solidarität mein Problem zu ihrem machte. Aber eben nur fast , denn die Debatte nervte mich. Ich wusste, dass wir beide keinen Millimeter von unseren jeweiligen Überzeugungen abrücken würden und die Diskussion nur dazu diente, einen harmonischen Abend zu ruinieren. Und das machte mich wütend. Ich setzte mich gerade hin und funkelte sie an.
„Jetzt hör mir mal zu. Ich habe keine Lust, diese Unterhaltung immer wieder zu führen. Ich weiß, dass ich aus deiner Weltsicht einen entsetzlichen Fehler mache, aber aus meiner eben nicht. Ich verschließe meine Augen nicht vor der Wirklichkeit. Ich habe den Verfall hautnah mitbekommen, meine Stadt liegt in Schutt und Asche, die Leute um mich herum sind wie die Fliegen gestorben, an Krankheiten, bei Unruhen, bei Überfällen. Wenn ich etwas gelernt habe, dann, dass ich mitnehmen muss, was ich kann, solange ich es noch kann. Das mit Louis ist das Schönste, was ich je erlebt habe. Und nicht einmal du, meine liebste, allerbeste Schwester, wirst mich davon abbringen können, also hör auf, mich zu nerven.“
Das saß. Polly blickte mich stumm über die Flammen hinweg an, wirkte aber nicht beleidigt oder sauer, eher prüfend.
„Und das ist es wert?“, fragte sie schließlich.
„Ja“, sagte ich entschlossen.
„Gut“, meinte sie nur und schien dabei auf grimmige Weise zufrieden.
Gut? Das war alles, was meine streitbare Schwester dem hinzufügte? Perplex lehnte ich mich wieder ins Gras zurück.
Wir schwiegen, bis Polly auf einmal wissen wollte: „Und wie ist es?“
„Was?“
„Naja, alles. Du sagst immer nur, es ist schön . Aber schön ist der Sonnenuntergang hinter den Hügeln hier, schön ist es auf der Jagd, ein gutes Essen kann schön sein, Padmini ist schön – was ist denn schon schön?“
Je öfter ich das Wort hörte, desto seltsamer und abstrakter klang es in meinen Ohren, aber das war wahrscheinlich genau das, was meine Schwester meinte. Während ich nach einer besseren Erklärung suchte, rückte ich ein Stück zu ihr hinüber, legte mich auf die Seite und stützte mich mit dem Ellenbogen auf, sodass ich sie besser ansehen konnte.
„Es ist aufregend, so als würde mein ganzer Körper unter Strom stehen. Aber auf eine positive Art und Weise“, setzte ich hinzu, als ich ihren skeptischen Blick sah. „Es ist so, als könnte ich nur atmen, wenn ich bei ihm bin, auch wenn das genau das ist, was ich in diesen Momenten fast vergesse. Wenn er mich ansieht, dann blickt er mir ins Herz. Und andersherum funktioniert es auch, als wäre da eine Verbindung, ein unsichtbares Band.“
„Hat das auch was mit deinen doofen Selbsterfahrungstrips zu tun?“ In ihrer Stimme schwang ehrliches Interesse mit.
„Nein, das hat damit nichts zu tun. Vielleicht nehme ich es dadurch nur deutlicher, ungefilterter wahr. Aber es ist mehr als das. Wenn ich bei ihm bin, bin ich zu Hause, bin ich angekommen, bin ich komplett. Und wenn ich weg von ihm bin, tut es weh.“
„So wie jetzt?“
„Ja, ein bisschen“, gestand ich.
„Faszinierend.“ Polly nickte. „Aber auch irgendwie voll krank.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht wirst du mich irgendwann verstehen.“
„Oh Artemis, ich hoffe nicht.“ Das kam so aus vollem Herzen, dass ich lachen musste. „Und wie lang dauert dieser Zustand?“, wollte Polly nach einer Weile wissen.
Ich ließ mich auf den Rücken umkippen und starrte in den sternengesprenkelten Himmel. „Hoffentlich für immer“, flüsterte ich.
Eine leichte Brise kam auf und die Abkühlung, die sie mit sich brachte, war angenehm.
Der Wind streicht sanft über ihre erhitzte Haut und trägt ihre Worte mit sich durch die laue Sommernacht, vorbei am Mond und den Pleiaden, über die Hügel und Wälder, den Fluss und Themiskyras Mauern hinweg, durch das Fenster einer kleinen Hütte, in der noch Licht brennt. Dort lässt er sie los, sie verteilen sich und schweben, noch trudelnd im Sog der Brise, im Raum herab. Der junge, dunkelhaarige Mann, der im Licht einer Kerze versonnen einen etwas linkisch gefertigten Pfeil betrachtet, sieht plötzlich auf, als
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