Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
über seine Oberfläche und die Hirschkuh. Ein Tropfen fiel darauf, dann noch einer, den sie vorsichtig wegwischte. Atalante weinte, laut- und reglos und mir wurde so schwer ums Herz, dass ich am liebsten mitgeweint hätte.
Ich wusste nicht, was hier los war, aber es war offensichtlich, dass ich irgendwas falsch gemacht hatte oder dass zumindest meine Anwesenheit ein Problem war, und so fragte ich mit heiserer Stimme: „Muss ich jetzt weg von hier?“
Mit einer ruckartigen Bewegung sah sie auf. Ihre Augen schwammen noch in Tränen, aber ihre Stimme war fest, als sie sagte: „Nein, Aella, im Gegenteil, du musst bleiben.“ Sie hielt mir den Anhänger hin und ich sah, dass es sich dabei doch um ein Medaillon handelte, das sie nun aufgeklappt hatte. Ein Medaillon mit einem kleinen Rahmen und einem Foto darin.
Ich nahm es in die Hand, betrachtete das Bild und verstand es nicht, wollte es nicht verstehen, konnte es nicht verstehen, kniff die Augen zusammen und sah nochmal genauer hin. Die Photographie blieb gleich. Sie zeigte meinen Vater und Atalante, beide ein gutes Stück jünger, und ein Baby. Mich. Mich?
„Du bist meine Tochter“, sagte Atalante.
Kapitel 7
Ich schüttelte den Kopf. Mein Gehirn weigerte sich, das Gesehene und Gehörte zu verarbeiten, zu verknüpfen oder auch nur zuzulassen.
„Meine Mutter ist tot. Ich war noch ganz klein, als …“
„Nein, sie ist nicht tot“, sagte Atalante sanft. „Sie ging nur weg, zurück zu den Ihrigen, und ließ ihre Tochter zurück. Das wird sie sich nie verzeihen.“
Ich hatte das Gefühl, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen, suchte nach Worten, aber konnte nichts sagen und obwohl ich gerade noch mit Atalante hätte mitweinen wollen, fühlte ich im Moment gar nichts. Das konnte überhaupt nicht wahr sein. Mein Vater hätte mich niemals angelogen. Das war einfach nur ein bizarrer Zufall, eine Ähnlichkeit, weiter nichts. Ich schüttelte wieder den Kopf, diesmal vehementer. „Es tut mir leid, aber du musst dich täuschen. Mein Vater hätte es mir bestimmt gesagt, dass …“
Atalante löste sich von Tetra und trat auf mich zu. Die Pfeilsichere nutzte die Gelegenheit und stahl sich aus dem Raum – ich wollte sie aufhalten, wollte, dass sie blieb, um dieses schreckliche Missverständnis aufzuklären. Aber ich kam nicht dazu, denn Atalante schloss mich in die Arme.
„Er hätte es dir bestimmt gesagt, aber er wollte dich beschützen. Und ich wollte das auch“, flüsterte sie.
Ich kämpfte mich aus ihrer Umarmung frei und trat einen Schritt zurück. „Du kennst meinen Vater überhaupt nicht! Und wieso beschützen? Das ist doch alles … blanker Unsinn!“, rief ich aus. Die Dorfbewohner rundum hatten definitiv Recht – das war eine Sekte hier. Eine Sekte von Wahnsinnigen. Ich würde mich nicht da mit hineinziehen lassen. Atalante sah mich wie von Donner gerührt an. Hatte sie geglaubt, sie könne mich so leicht mit dieser irrsinnigen Behauptung und einem schlecht retuschierten Foto überzeugen?
„Aella …“, begann sie und breitete ihre Arme aus.
„Ich heiße Ell !“, schrie ich sie an, rannte aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu. An der obersten Treppenstufe blieb ich stehen. Ich konnte jetzt nicht da hinunterlaufen. Dort unten waren gerade noch viel mehr von diesen verrückten Weibern. Also wandte ich mich kopflos nach links und lief die Galerie entlang, öffnete die nächstbeste Tür und warf auch diese laut hinter mir zu.
Ich stürzte förmlich durch den Saal, vorbei an hohen Bücherregalreihen, bis ich an einem Fenster zum Stehen kam. Fahles, staubiges Abendlicht fiel auf das Amulett, das ich immer noch krampfhaft in meiner Hand hielt, und ich sah mir das Bild noch einmal genau an.
Ich spürte mein Herz in jedem meiner Glieder, in jeder Faser, in jeder einzelnen Zelle klopfen. Es war keine zufällige Ähnlichkeit. Es war keine Retusche. Es waren eindeutig mein Vater und Atalante. Was das Baby anging, konnte ich nicht so sicher sein, denn Säuglinge sehen einander zu ähnlich und das Bild war sehr klein, aber über die Identität der beiden Erwachsenen bestand kein Zweifel.
Vielleicht hat sie doch die Wahrheit gesagt, flüsterte mein Verstand vorsichtig.
Es kann nicht sein! schrie mein Herz.
Was wäre so schlimm daran, wenn es die Wahrheit wäre?
Nichts. Aber es ist nicht die Wahrheit.
Sieh sie dir doch an!
Ich kann nicht.
Ich konnte wirklich nicht. Meine Sicht war plötzlich verschwommen, dabei gab es
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