Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
Ich widersetzte mich, sie verstieß mich und ich kehrte zu meinem Liebsten zurück. Wir heirateten und ein Jahr später brachte ich ein kleines Mädchen auf die Welt, das ich Aella nannte. Ich liebte es und meinen Ehemann von ganzem Herzen und alles war wunderbar, aber in meinem tiefsten Inneren konnte ich doch kein reines Glück empfinden. Mein schlechtes Gewissen quälte mich und die körperliche und seelische Entfernung von meinen Schwestern und meinem gesamten früheren Leben taten mir unendlich weh. Dazu kam, dass ich mich in der Stadt immer eingeschlossen fühlte, sie nahm mir die Luft zum Atmen, alles war zu eng und zu grau und überall waren zu viele Menschen. Mein Studium hatte ich zugunsten des kleinen Kindes, um das ich mich kümmern musste, vernachlässigt und irgendwann wachte ich auf und stellte fest, dass sich mein Leben nur noch um Wickeln, Einkauf, Kochen und Saubermachen drehte. Für dich mag das nicht so tragisch klingen, aber ich bin in Freiheit und in der Natur aufgewachsen – ich konnte so viel und sah mich reduziert auf ein Frauenbild, das unsere Kultur stets bekämpft hat.“
Was ich hörte, gefiel mir nicht und ich sah voraus, wie die Geschichte enden würde, aber ich musste mir eingestehen, dass ich Atalante zumindest teilweise verstehen konnte.
„Und dann?“, drängte ich und beugte mich vor.
„Irgendwann erreichte mich ein Brief von Tetra, die den Kontakt zu mir nie abgebrochen hatte und wusste, wo sie mich finden konnte. Sie hatte mir auch als Zeichen ihrer Freundschaft das Medaillon mit der Hirschkuh geschenkt, bevor ich nach Citey ging. Die Pfeilsichere teilte mir mit, dass meine Mutter schwer krank war und im Sterben lag, und ich wusste, dass das meine letzte Chance war, mich mit ihr auszusöhnen. Ich verließ euch im Morgengrauen –“
„– am 15. Mai 2007“, beendete ich den Satz. Der Todestag meiner Mutter.
Atalante schaute mich an und nickte. Ich sah wieder Tränen in ihren Augen schimmern. „Meine Halskette mit dem Medaillon ließ ich zurück, als Zeichen, dass ich zurückkehren würde. Aber dazu kam es nie … Ich nahm den nächsten LevEx-Zug Richtung Norden, stahl mir in Vila ein Pferd und ritt den Rest der Strecke mit nur kurzen Pausen durch, voller Panik, dass ich es nicht mehr rechtzeitig nach Hause schaffen würde.“ Sie atmete tief durch. „Aber ich schaffte es. Meine Mutter verzieh mir an ihrem Todesbett, aber sie nahm mir auch das Versprechen ab, dass ich ihre Nachfolge antreten würde. Ich sagte ihr, dass mich die anderen Amazonen wegen der Dinge, die ich getan hatte, nie akzeptieren würden. Sie jedoch beharrte darauf, dass das nicht der Fall sei. Es stellte sich heraus, dass sie niemandem gesagt hatte, was wirklich passiert war. Die anderen dachten immer noch, ich sei zu Studienzwecken in Citey. Meine Mutter hatte mich nie aufgegeben. Außer ihr und mir kannte nur Tetra die wahre Geschichte. Ich versprach ihr alles, was sie wollte, und war voller Dankbarkeit, dass sie mir verziehen hatte. So, als ob mir dadurch auch die Göttin selbst verzeihen würde.“
„Und du bist nie zurückgekehrt?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort kannte.
„Nein. Ich wollte so sehr. Ich vermisste euch so schrecklich. Aber ich schob es immer weiter auf. Als meine Mutter kurz danach starb, gab es unendlich viel zu tun. Und der Weg war so weit, dass ich nicht mal eben so und ohne, dass es aufgefallen wäre, eine Reise nach Citey hätte unternehmen können. Irgendwann ging mir auf, dass ich alles noch viel schlimmer machen würde, wenn ich plötzlich wieder zu Hause auftauchen würde, für mich, für deinen Vater und vor allem für dich, die du dich dann an mich erinnern und mich vielleicht vermissen könntest.“
Ich wollte wütend sein. Ich wollte sie anschreien. Ich wollte sie dafür hassen, was sie mir und insbesondere meinem Vater angetan hatte. Doch ich konnte es nicht.
Weil du ihr nicht glaubst? fragte mein Verstand.
Weil ich ihr glaube.
Es fühlte sich wahr an. Mein Herz klopfte stark, als ich Atalante mit neuen Augen ansah. War das tatsächlich meine Mutter? Ich studierte ihr Gesicht und konnte keine Ähnlichkeit erkennen. Vielleicht der Mund, die Lippen …
„Wieso hast du mich nicht mitgenommen?“, wollte ich wissen.
„Ich bin ja nicht mit der Absicht zu den Amazonen zurückgekehrt, euch für immer zu verlassen“, erklärte Atalante. „Ich hätte dich später holen können, aber sosehr ich dich auch vermisst habe, ich hätte dich deinem Vater nicht
Weitere Kostenlose Bücher