Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
gar nichts, was eine einzige Träne wert war. Doch. Ich werde von hier weggehen müssen. Dem Irrsinn entgehen müssen. Und das wollte ich nicht.
Ein Geräusch ließ mich aufschrecken. Mühsam blinzelte ich meine Tränen weg und sah Atalante in der offenen Tür stehen, die Klinke noch in der Hand. Sie wirkte fluchtbereit und dabei so unsicher, wie ich sie später nie wieder sehen sollte.
„Lass mich in Ruhe“, blaffte ich sie an, aber das kam nicht mehr richtig überzeugend.
Ihre Haltung straffte sich und ich wusste einen kurzen Moment lang nicht, ob sie sich nicht wirklich umdrehen und den Raum verlassen würde.
Bleib!
Geh weg!
Aber sie ging nicht, sondern schloss die Tür und kam langsam auf mich zu. Ich wollte sie nicht ansehen und wandte meinen Blick wieder dem alten Foto zu. Inzwischen war es so dunkel geworden, dass ich kaum noch etwas darauf erkennen konnte.
„Warum sollte ich dich anlügen?“, fragte sie schließlich leise, als sie bei mir angelangt war.
Ich zuckte mit den Schultern. Weil du verrückt bist. Aber das wagte ich nicht laut auszusprechen.
„Es ist die Wahrheit. Das bist du.“ Sie zeigte auf den Säugling auf der Photographie.
Das kann ungefähr jedes Baby sein.
„Deinen Namen habe ich dir gegeben. Es ist ein Amazonenname.“
Zufall!!!
„Ich habe dich so vermisst.“
Mein halbherziges gedankliches Ich dich nicht! wurde von Atalantes Umarmung komplett absorbiert und ich ließ sie zu – und langsam auch den Gedanken, dass sie vielleicht, ganz vielleicht die Wahrheit sagte.
„Was … was ist passiert?“, fragte ich verstört, als ich mich aus der Umarmung löste und bezog mich auf einen Tag vor fünfzehn Jahren, den Tag, an dem meine Mutter meinen Vater und mich verlassen hatte – gesetzt den Fall, an der Geschichte war etwas dran. Sie sah mich gequält an und lächelte traurig.
„Wollen wir wieder in mein Zimmer gehen?“, schlug sie vor. „Dort ist es wärmer.“
Mir war nicht zu kalt. Mir war auch nicht zu warm. Mir war gar nichts. Aber ich folgte ihr zögernd in ihren Raum zurück.
Atalante schloss die Tür hinter uns und setzte sich auf die Couch. Langsam ließ ich mich ein Stück weiter weg auf einem Sessel nieder. Ich wollte nicht den Kopf verlieren und der physische Abstand half mir, auch emotional soviel Abstand zu halten, dass ich nicht kopfüber und mit vollem Herzen in eine Sache hineingezogen wurde, die sich letztendlich vielleicht doch als unwahr herausstellte.
Ein paar Minuten vergingen, ohne dass eine von uns ein Wort sagte. Dann atmete Atalante tief durch und begann zu erzählen.
„Als junge Amazone wollte ich unbedingt studieren. Zu der Zeit tat sich ungemein viel in der Technologie der erneuerbaren Energien und ich hatte damals schon die Vision, wie wir es schaffen konnten, uns die Errungenschaften der modernen Technik zu Nutze zu machen und dennoch in Einheit mit der Natur zu leben, wie es unsere Tradition ist. Diese Dinge konnte ich aber zu Hause nicht lernen, sondern musste sie an einer Universität studieren. Meine Mutter, Alkippe, hatte Bedenken, aber ich überzeugte sie und sie ließ mich ziehen. Ich ging nach Citey und dort lernte ich nicht nur alles Wissenswerte über Wasserkraftwerke und Solarzellen, sondern auch einen wundervollen jungen Pharmaziestudenten kennen.“
Sie schloss die Augen und in ihrem Gesicht kämpften freudige Erinnerung und Schmerz miteinander. „Wir verliebten uns Hals über Kopf in einander. Wie du sicher schon erfahren hast, ist es uns verboten, uns mit 'Shimet einzulassen, doch ich war weit weg von daheim und niemand erfuhr von meiner Beziehung zu ihm. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich die Göttin verriet, meine Mutter und meine Schwestern, aber zu diesem Zeitpunkt zählte nur meine Liebe zu ihm. Er bat mich, ihn zu heiraten, und mit meiner Zusage wusste ich, dass ich meiner Mutter alles erzählen musste. Ich ritt zurück nach Themiskyra, beichtete Alkippe alles und vertraute darauf, dass sie mir verzeihen und mich mit ihrem Segen würde ziehen lassen.“ Sie sah mich an. Schmerz und Verbitterung hatten die Oberhand gewonnen. „Es war dumm von mir, das auch nur zu hoffen.“
Gebannt hatte ich zugehört, wobei ich den Gedanken, dass diese Liebesgeschichte irgendetwas mit mir zu tun haben könnte, weit weggeschoben hatte. Atemlos fragte ich nun: „Was ist passiert?“
Atalante seufzte. „Sie war rasend vor Zorn und verbot mir, ihn jemals wiederzusehen, nur so könne ich mein Seelenheil noch retten.
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