Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
neunhundertdreizehn …
Ich zählte und schrie und zählte und schrie. Inzwischen fühlte ich mich völlig ausgedörrt. Die Feuchtigkeit um mich herum schien meinem Körper alle Flüssigkeit zu entziehen. Meine Finger waren klamm und meine Kehle schmerzte vom Rufen. Ich beuge mich vor, um etwas Wasser mit den Händen zu schöpfen und zu trinken, da bemerkte ich es.
Der Wasserspiegel ging mir nicht mehr nur bis zum Nabel, er reichte mittlerweile bis unter die Brust. Kaltes Entsetzen kroch mir über die Haut, nahm mir den Atem.
Ich sitze bestimmt nur anders da, dachte ich panisch und versuchte, mich so aufzurichten, dass das eisige Nass wie anfangs nur den unteren Teil meines Bauchs berührte, aber es gelang mir nicht. Das Wasser stand definitiv höher als zuvor. Irgendwo drang es in das Gebäude ein und floss nicht wieder ab. Hektisch sah ich mich um und suchte die lecke Stelle, aber es war dämmrig geworden und so konnte ich nur ahnen, dass es entweder durch die zerstörten Fenster hereinschwappte oder durch Risse im Mauerwerk tröpfelte. Ich hörte das Grundrauschen des angeschwollenen Flusses, den prasselnden Regen und darüber, leiser, höher, ein sanftes Plätschern, das an meinen Nerven zerrte.
Vergiss das Zählen.
Ich schrie, so laut und lange ich konnte und zog wie wild an meinem Bein. Das scharfkantige Metall des Geländers riss den Stoff meiner Hose und die Haut darunter auf, doch der Schmerz drang nicht durch den Nebel meiner Panik in mein Bewusstsein. Wenn ich es nur lang genug versuchte, konnte ich vielleicht genug von meinem Bein abschaben, dass ich es freibekam … oder es auf diese Weise sogar notfalls amputieren. Dann würde ich wahrscheinlich verbluten, aber alles war besser, als zu ertrinken.
Es war beinahe dunkel und der Pegel hatte meine Schlüsselbeine erreicht, als ich auf- und damit mein Bewusstsein wieder meinen Sinneseindrücken freigab. Ich konnte nicht mehr. Das Bein war noch dran und ein quälendes Brennen durchzog von der Wunde ausgehend meinen ausgekühlten Körper, der wie Espenlaub zitterte, obwohl mich das austretende Blut in warmen Schwaden umgab.
Warum habe ich mir nicht einfach das Genick gebrochen, als Hekate mich abgeworfen hat? Warum habe ich mich nicht von Lenno erschlagen lassen? Warum habe ich mich nicht vom Tattooschädel erschießen lassen?
Millimeter für Millimeter kroch der Wasserspiegel unangenehm kitzelnd an meinem Hals hoch, erreichte viel zu schnell mein Kinn. Ich reckte es in die Höhe, legte meinen Kopf in den Nacken und atmete soviel ein, wie ich nur konnte … oder verlängere ich damit den Prozess, das Ersticken, nachher, wenn keine Luft mehr da ist und mir das Wasser in die Lunge fließt?
Wasser strudelte in meine Gehörgänge, dämpfte das Rauschen des Flusses zu einem dumpfen Grollen.
Gott, Göttin, was auch immer, bitte lass mich verhungern. Lass mich nicht ertrinken. Ich will nicht ertrinken. Ich will einfach nur in aller Ruhe verhungern. Oder erfrieren. Oder verbluten. Egal. Nur nicht ertrinken.
Würden sie mich vermissen? Würde ich sie vermissen? Würde ich meinen Vater wiedersehen?
Tränen liefen mir übers Gesicht. Ich meinte, ihr leises Platschen zu hören, als sie in rascher Reihenfolge ins Wasser fielen. Sehen konnte ich nichts mehr. Finsternis, Nässe und Einsamkeit umhüllten mich wie einen Kokon und schnürten mir die Luft ab, nach der ich jetzt schon krampfhaft rang.
Du blöde Kuh, sagte etwas in mir mit strenger Stimme, lässt den Pegel noch schneller steigen mit deinem Geheule. Ertrinkst in deinen eigenen Tränen. Armselig.
Irgendetwas daran amüsierte mich zutiefst und ich brach in hysterisches Lachen aus, das verzerrt von den Wänden zurückgeworfen wurde.
Dann weinte ich wieder. Verzweifelter als je zuvor.
Dann war nur noch meine Nase frei.
Und dann nicht einmal nur das. Nur noch Wasser.
Ich hielt den Atem an, so lange ich konnte. Nach einer Zeit, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte, ließ ich die Luft aus meiner Lunge entweichen. Ich glaubte, in plötzlichem , warmem Lichtschein die Blasen im Wasser aufsteigen und platzen zu sehen, aber vielleicht gaukelte mir das mein schwindendes Bewusstsein nur vor. Der erste Schwall, den ich einatmete, brannte wie Feuer in meinen Atemwegen. Der zweite ließ mein rasendes Herz fast zerspringen.
Der dritte zog mich in die Dunkelheit.
Kapitel 10
Gerettet?
Zu unwahrscheinlich.
Himmel?
Zu nass.
Hölle?
Zu kalt.
Nur auf der Höhe meines Herzens schien meine Haut vor Hitze zu
Weitere Kostenlose Bücher