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Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)

Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)

Titel: Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dani Aquitaine
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hinter mir zurücksinken und schloss die Augen, um wieder zu Kräften zu kommen, doch die Kälte lähmte mich zusehends.
    Nach ein paar Minuten startete ich einen erneuten Versuch, zog dabei mit meinen Händen am gefangenen Bein und trat mit dem anderen gegen das Gitter an, aber es war zu schwer. Wieder sackte ich zurück.
    Das konnte alles nicht wahr sein. Wie viel kann eigentlich schief gehen, an einem einzigen Tag? In einem einzigen Leben? Und warum überhaupt? Warum war ich überhaupt weggelaufen? Ich hatte doch gewusst, dass ich nicht stark genug war, um mich alleine durchzuschlagen. Das hatte meine Mutter mir ja in aller Deutlichkeit klargemacht.
    Und das ist genau der Grund, warum ich abgehauen bin. Die Reste meiner ursprünglichen Wut flammten auf. So bin ich eben. Verrecke auf der Flucht in diesem elenden Wasserkraftwerk. Das passt zu mir, besser als Maschinengewehr und Panzerfaust.
    Aber ich wollte nicht sterben. Und im Augenblick wäre mir jede noch so demütigende Trainingsstunde bei Tianyu lieber gewesen als hier festzusitzen. Wieder rüttelte ich erfolglos am Gitter. Furcht prickelte meine Wirbelsäule entlang. Wenn ich es nicht schaffte, mich zu befreien, würde ich hier tatsächlich verhungern. Immerhin nicht verdursten, Wasser ist ja genug da, versuchte ich, mich zu beruhigen. Ohne Nahrung kommt man zwei bis drei Wochen aus, wenn ich mich recht erinnere. Und irgendjemand hat dieses Lager hier angelegt. Das heißt, irgendwann innerhalb der nächsten Tage muss jemand vorbeikommen. Dazu muss die oder derjenige mich allerdings erst mal finden.
    Ich erinnerte mich nicht, ob ich die Tür zum Lagerraum hinter mir geschlossen hatte. Ob mich überhaupt jemand hören würde? Ich begann, um Hilfe zu rufen. Immer fünf Mal, dann zählte ich bis eintausend, dann rief ich wieder. Meine Schreie hallten gespenstisch hohl von der hohen Decke wieder, aber das gab mir die Hoffnung, dass man mich tatsächlich auch bei geschlossener Tür würde hören können. Während der Zählphasen versuchte ich, mich nur auf die Zahlen zu konzentrieren und an nichts anderes zu denken, keine Furcht zuzulassen. Doch meine Gedanken glitten immer wieder ab, zurück zu meinem Vater, zu meiner Mutter, zu meiner neuen kleinen Schwester, die ich jetzt schon zu vermissen begann. Womöglich würde sie mich suchen? Aber ich hatte sie in den letzten beiden Tagen nicht wirklich freundlich behandelt, vielleicht war sie ganz froh, wenn sie ihre Mutter wieder für sich hatte.
    Nicht nur in meinem eingezwängten Bein, auch überall sonst in meinem Körper hatte sich ein lähmendes Gefühl ausgebreitet, wo das Wasser ihn bedeckte. Wahrscheinlich erfriere ich, bevor ich verhungere, dachte ich lakonisch. Wie lange dauert es, bis man auskühlt? Doch die Zahlen, die mir dabei durch den Kopf wirbelten – Tage? Stunden? Minuten? Wassertemperatur? Körperoberfläche? –, vermischten sich mit den Sekunden, die ich zählte. Ich riss mich zusammen und verdrängte jeden Gedanken an Todesursachen und den Zeitraum, bis sie möglicherweise eintraten.
    … fünfhunderteinundsiebzig, fünfhundertzweiundsiebzig, fünfhundertdreiundsiebzig …
    Aella, du bist viel mehr als das, hatte meine Mutter gesagt und auf einmal klang es ganz anders in meinen Ohren, als ich es in dem Moment wahrgenommen hatte. Plötzlich hörte es sich wie eine Ermunterung an. Nach Zutrauen. Nach Hoffnung. Du wirst erstaunt sein, was du alles kannst, wenn du es nur versuchst.
    … sechshundertachtundfünfzig, sechshundertneunundfünfzig, sechshundertsechzig …
    Wenn du hier aufgewachsen wärst, wärest du nie in eine Situation geraten wie die, die du an der alten Mühle erlebt hast. Ich hörte ihre Schuldgefühle aus diesem Satz heraus, keine Anklage oder Verachtung mehr.
    … siebenhundertdreiundachtzig, siebenhundertvierundachtzig, siebenhundertfünfundachtzig …
    Habe ich denn alles falsch verstanden? Oder werde ich nur langsam aber sicher wahnsinnig und weiß wirklich nicht mehr, wer ich bin?
    Nein. Ich weiß es. Und ich werde erstaunt sein, was ich alles kann, wenn ich es nur versuche, dachte ich mit neu aufkeimender Zuversicht. Wieder setzte ich mich auf und zerrte mit aller Kraft an den Streben des Geländers. Ich muss es schaffen. Ich kann's. In mir fließt Amazonenblut. Ich gebe nicht auf und ich bin stark und toll und ich …
    … ich bin schwach und es hat keinen Sinn. Das Gitter saß fest. Tränen brannten in meinen Augen.
    Zähl weiter.
    … neunhundertelf, neunhundertzwölf,

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