Themsen, V: Elfenzeit 17: Korsar der Sieben Stürme
gezeigt hatte, und kam näher.
»Ja, genau. So weit waren wir schon.« Seufzend ließ Rian ihren Blick über den See gleiten.
Das Wasser strahlte eine unglaubliche Ruhe und gleichzeitig Kraft aus. Der Wunsch, sich einfach hineinfallen zu lassen, wuchs in ihr zu einem übermächtigen Verlangen an. Und obwohl die Wesen sich enger um sie scharten, sie umringten und sie in ihrem Hinterkopf spürte, dass sie ihr etwas sagen und sie sie warnen wollten, konnte die Prinzessin nicht widerstehen. Sie musste einfach in den See steigen.
»Piraten.«
»Fort.«
Wieder und wieder echoten die Worte in ihrem Kopf, während sie auf dem Rücken liegend im Wasser trieb, die Arme und Beine ausgebreitet, und die samtige Kühle genoss, die ihren Körper umspielte. Mochte das der Quell der Unsterblichkeit sein?
Rian atmete tief durch und versuchte sich zu erinnern, wie es sich angefühlt hatte, als die Elfenwelt noch in Ordnung gewesen war.
Irgendwo schrie ein großer Vogel, einer Hupe nicht unähnlich, und im Unterholz raschelte es. Getrappel von zierlichen Hufen war zu hören, das sich eilig entfernte. Doch erst als totale Stille herrschte, wurde Rian unruhig. Leicht hob sie den Kopf, sah zum Ufer und fand es leer. Die Affengeister hatten sich in ihre Verstecke zurückgezogen, genau wie alles andere Getier.
Dann sah sie ihn, erblickte den groß gewachsenen Piraten zwischen den Bäumen in seinem roten Waffenrock und dem langen schwarzen Haar. Einen Moment lang starrten sie sich gegenseitig an, rührten sich nicht.
Das muss Arun sein,
dachte Rian.
Piraten. Fort,
hallte es in ihrem Kopf. Und diesmal verstand sie die Warnung. Mit großen Ruderbewegungen versuchte sie sich ans Seeufer zu retten, während der Elfenpirat plötzlich hektisch winkte.
»Da! Da ist sie!«, rief jemand vom oberen Ende des Wasserfalls. Ein lautes Platschen erklang, als sich ein halbes Dutzend Männer herabstürzten und dicht neben ihr ins Wasser tauchten. Sprudelndes Blasengewirr umgab Rian. Sie strampelte, schlug um sich, als Hände nach ihr griffen, sie umschlangen und mit sich zerrten – an den Rand des Sees und weg von ihrem Retter in Rot.
»Grog! Pirx! Wo seid ihr?«, schrie sie in ihrer Verzweiflung, während grobe, gierige Hände sie an Land schleuderten. Jemand legte ihr eine Schlinge um den Hals. Doch ihre Koboldfreunde waren nirgends zu sehen und auch der Pirat schien sich Suradets Übermacht nicht entgegenstellen zu wollen, denn er war fort. »Grog, Pirx, ich bin hier!«, rief sie noch einmal.
»Es hat keinen Sinn, Kleines«, sagte da eine bekannte Stimme.
Rian drehte den Kopf und fand Alriego vor sich. Der Walrossmann sah ihr mit sanftem Lächeln entgegen. Dann zog er sich umständlich sein Leinenhemd über den Kopf und stülpte es ihr trotz des Protestes der anderen Piraten über den nackten Leib.
»Jetzt ist alles verloren«, flüsterte Rian zu sich selbst, als er sie an seine breite Brust drückte.
10 Langkawi – Stadt der Seezigeuner
Rian lag auf dem Bett ihrer Kajüte und wartete darauf, dass das Schicksal seinen Lauf nahm. Ihre Entführer hatten sie zurück auf ihr Schiff gebracht. Wäre Sibyll nicht dazwischengegangen, hätte Suradet sie wohl zur Strafe für ihren Fluchtversuch auspeitschen lassen.
Die menschliche Hexe war ihr ein Rätsel. So freundlich und liebenswert auf der einen Seite, andererseits verschlagen und skrupellos wie der schlimmste Pirat. Sie war alt – älter, als ein Mensch normalerweise werden konnte – und musste viel gesehen und erlebt haben. Vermutlich schlimme Dinge. Oder wurden etwa alle Wesen, die eine Seele besaßen, am Ende ihres Lebens so wie Sibyll? Würde auch ihr Bruder David seine elfische Seite irgendwann ganz vergessen, ein verbitterter greiser Mann werden?
Nachdenklich rollte sich die Prinzessin herum und betrachtete die speckige Schnürlederhose und das ausgeleierte Baumwollhemd mit Holzknöpfen, in das man sie gesteckt hatte. Danach blickte sie zu Schnickschnack.
Der Papagei kauerte auf seinem Platz auf der Stuhllehne und bewachte sie mit Argusaugen. »Törichte dumme Elfe«, krächzte er, als sie ihn ansah. »Hättest beinahe alles kaputt gemacht. Alles verdorben.«
»Was denn?«, fragte sie und setzte sich auf. Ihr war immer noch nicht klar, warum die Piraten sie entführt hatten oder wozu sie sie brauchten.
Anstatt zu antworten, knirschte der Papagei nur mit dem Schnabel und streckte abwechselnd seine beiden zerrupften Flügel.
»Sag mir doch wenigstens, was ihr vorhabt, damit ich
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