Themsen, V: Elfenzeit 17: Korsar der Sieben Stürme
getan, was Piraten nun einmal taten – und vermutlich in erster Linie seine eigene Haut gerettet. Vielleicht hatte er ihr ernsthaft zur Flucht verhelfen wollen, aber Suradet war dahintergekommen und hatte ihn vor die Wahl gestellt, seinen Fehler wiedergutzumachen oder gehängt zu werden. Es spielte keine Rolle mehr. Rian war nicht nachtragend, sie benötigte ihre Energie für anderes.
Doch der Walrossmann schüttelte nur den Kopf. Schlagartig war der Glanz aus seinen Augen verschwunden.
»Die Welt hat sich verändert«, sagte er, »sogar auf dieser Seite des Kontinents. Wo die Menschenwelt nicht über der unseren liegt, ist der Verfall zu sehen, den die Zeit mit sich gebracht hat. Der Tod ist nach Langkawi gekommen und greift nach den Elfen.«
Schweigend starrte Rian auf die schwimmende Stadt. Also hatte inzwischen jeder seine Last zu tragen.
»Sie war eine Sirene«, sagte Alriego nach einer Weile, während sich das Schiff in langsamer Fahrt dem Ankerplatz in der Mitte der Bucht näherte. »Ihr Gesang war betörender als der Augenaufschlag einer Meerjungfrau, ihr Haar so golden wie die Sonnenstrahlen am Morgen, und ihr Kuss … ihr Kuss war so süß wie Götternektar. In ihren besten Tagen ließ sie die Schiffe reihenweise gegen die Felsen steuern. Und wann immer ich an ihrer Lieblingsstelle im südlichen Meer vor Temasek vorbeikomme, höre ich noch ihr glockenhelles Lachen, begleitet von dem Knirschen und Bersten der Schiffsrümpfe.«
»Wie ist sie gestorben?«, fragte Rian.
Der Walrossmann strich mit den Flossenfingern über die Brüstung und senkte den Blick. »Sie war alt, sehr alt, selbst für eine Elfe. Noch bevor die Menschen wussten, was eine Sirene ist, streifte sie schon durch die Gewässer dieser Welt.« Wieder hielt er inne, als lasse er seine Gedanken in der Zeit zurückwandern. Schließlich räusperte er sich und sah Rian mit einem sanften Lächeln an. »Die Zeit hat sie verschlungen. Doch solange ich existiere und die Erinnerung an sie bewahre, so lange wird sie weiterleben.«
Das laute Rattern der Ankerkette unterbrach ihn. Die Seeräuber machten sich daran, die Beiboote zu Wasser zu lassen. Dabei schwatzten sie munter; einige überprüften sogar den Sitz ihrer Kleidung und ihr Aussehen. Langkawi versprach wohl nicht nur Handel, sondern ganz offensichtlich auch Vergnügungen eher intimer Art.
Insgeheim hatte Rian gehofft, dass neben Schnickschnack auch Alriego ihr Aufpasser sein würde. Das hätte ihr vielleicht die Möglichkeit einer zweiten Flucht verschafft. Doch statt des Walrossmannes wich Sibyll mit schlurfenden Schritten nicht von ihrer Seite.
Während sie die wackligen Stege entlanggingen, fiel der Prinzessin auf, wie viele Personen die Zauberhexe kannten. Geradezu ehrfürchtig wurde sie von jedem begrüßt, an dem sie vorbeikamen, mochte es ein Elf sein oder ein Mensch. Der eine oder andere drückte der Alten die Hand, steckte ihr etwas zu oder flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Rian dagegen war für die meisten Luft. In ihrer Lederhose, dem Hemd und den Sandalen, die man ihr dazugegeben hatte, wirkte sie auf den ersten Blick wohl wie eine echte Piratenbraut, und niemand sah genauer hin. Schnickschnack auf ihrer Schulter unterstrich den falschen Eindruck sicher noch.
Mehrfach hielt Sibyll für einen kleinen Plausch inne, schwatzte mit einer Nixe und lachte mit einem Menschenmann, der auf seinem nackten Oberkörper eine ganze Seeschlacht tätowiert hatte. Rian stand daneben und sah sich um. Vom Schiff aus hatte man einen guten Überblick über die schwimmende Stadt gehabt. Nun wirkten die Stege, quer gespannten Seile und Planken auf die Prinzessin wie ein wirrer unsortierter Haufen. An eine Flucht war nicht zu denken. Rian hätte nicht einmal gewusst, wohin, denn das Festland schien unerreichbar fern. Die Einzigen, die ihr jetzt noch helfen konnten, segelten an der Seite eines weiteren Piraten über das Meer.
»Steh hier nicht rum und starr Löcher in die Luft! Komm, komm, weiter! Rhodri ist bestimmt schon ganz neugierig auf dich.« Mit diesen Worten packte Sibyll die Elfe unversehens am Arm und schubste sie mit groben Stößen vor sich her.
»Und wer ist dieser Rhodri?«, fragte Rian. Am liebsten hätte sie der Alten das Kopftuch in den Hals gestopft.
»Rhodri ist der Bruder unseres großartigen Käpt’ns und Herrscher über ganz Langkawi«, krächzte Schnickschnack.
»Und ich? Bin wohl so was wie ein Begrüßungsgeschenk.«
Die Alte kicherte. »Möglich. Aber keine Sorge, du
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