Themsen, V: Elfenzeit 17: Korsar der Sieben Stürme
wirst den Grund deiner Anwesenheit noch früh genug erfahren.«
Während sich die Sonne langsam dem Horizont zuneigte, näherten sie sich der Insel. Rian sah Kletternetze über das schroffe Felsenufer gespannt. Trittleitern führten an Gerüsten hinauf sowie einfache Flaschenzüge für die vielen Fässer, Säcke und Kisten, die in der Handelsstadt der Diebe und Feilscher gegen Gold oder Gefälligkeiten ihren Besitzer wechselten. Hinter dieser zweckmäßigen Konstruktion erhob sich eine aus Brettern gezimmerte »Burg« mit zwei Wachtürmen und einer altertümlichen Zugbrücke, die von grimmig dreinblickenden Haiköpfen bewacht wurde.
Während sie durch das Tor schritten und den Innenhof betraten, wehte Rian der Geruch von gebratenem Fisch entgegen. Schausteller aller Art präsentierten ihr Können. Eine Schar zarter Elfenfrauen drehte sich zu der Musik eines Trommlers im Kreis und sang Balladen über große Krieger und ihre Heldentaten. Ein Kobold mit borstigem Haarkamm und Schweineschnauze balancierte auf einem Seil, das von zwei Baumelfen gehalten wurde. Aber auch Menschen tummelten sich zwischen den Wesen der Anderswelt. Zwielichtige Gestalten boten ihre Waren feil, Frauen in luftiger Kluft schenkten Wein aus, brachten allerlei Speisen aus der Küche oder schmiegten sich an die potente und zahlungswillige Kundschaft.
Auf einem Podest mit ein paar Stufen thronte ein Mann und blickte auf das bunte Treiben herab. Sein Gesicht war rund und sein dünnes, blondes Haar gekräuselt. Rian erkannte sofort, dass es sich um Sibylls zweiten Sohn Rhodri handelte. Die Ähnlichkeit mit Suradet steckte in den Gesichtszügen, aber auch unverkennbar im Auftreten. Ein dicklicher, selbstgefälliger Despot, der sich wie ein König in Samt und Brokat gekleidet hatte.
Doch statt Prunk und Glanz strahlte er in den Augen der Prinzessin genau das Gegenteil aus. Der Saum seines Hermelinmantels war dreckig und nass, die Pumphosen an den Knien zerschlissen, das Wams zu eng. Fast musste man befürchten, es könne beim geringsten Rülpser des Elfen aufplatzen und mehr von der aufgedunsenen Haut preisgeben, die der Anblick seiner schwulstigen Finger vermuten ließ. Ob die beiden Söhne wohl denselben Vater hatten? Sibyll musste jedenfalls in jungen Jahren einiges draufgehabt haben!
»Rhodri, Schätzchen!«, rief sie nun und stieg freudestrahlend die Stufen hinauf, ohne Rian loszulassen. »Schau, wen ich dir mitgebracht habe!«
Der Elf rümpfte die Nase. »An der ist ja kaum was dran. Habt ihr die in der Gosse von Singapur aufgelesen?« Sein Blick wanderte an der Prinzessin abwärts und zeigte offenen Abscheu. »Bist du sicher, dass du dich nicht geirrt hast?«
Du musst gerade reden, du stinkendes Schwein!
, dachte Rian und wollte sich losreißen. Doch der Griff der Alten war so fest, als hätte sie Schraubzwingen statt Finger.
»Glaub mir, mit der richtigen Ausstattung sieht sie ganz anders aus. Die Kleider sind nur geborgt, weil sie ja unbedingt ausbüxen musste. Als sie zu mir in den Laden kam, wusste ich sofort, dass sie etwas ganz Besonderes ist. Man kann ihr die Jungfräulichkeit doch geradezu ansehen, findest du nicht?«
»Ich sehe nur eine klapperdürre Elfe mit viel zu kurzen Haaren, die wie ein Bettler gekleidet ist«, stänkerte Rhodri.
»Wenn ich dir doch sage, dass sie unberührt ist! Ich habe per Händedruck kontrolliert, dass nicht nur der Zufall, sondern der Lockstoff sie zu mir führte.«
Rhodri rieb sich das kantige Kinn und nickte knapp. »Hast du mir die Tränke mitgebracht, um die ich dich gebeten habe?«
Die Reaktion des Elfen ließ Rian zumindest hoffen, dass sie nicht auf seine Bestellung hin entführt worden war. Bei all der Auswahl in dieser bunt gemischten Stadt wäre es wohl ein zu großer Aufwand gewesen, wo willigere Mädchen gleich vor seiner Nase tanzten und lachten. Und genau die schienen seinem Geschmack auch deutlich mehr zu entsprechen.
Während Sibyll in ihrer großen ledernen Umhängetasche nach den versprochenen Mitbringseln suchte, glotzte ihr zweiter Sohn wie ein pubertierender Knabe unter die hochwehenden Röcke der Tänzerinnen und leckte sich immer wieder lüstern über die Lippen.
Schließlich hielt die Alte ihm eine bauchige Phiole mit schleimig grünem Inhalt hin.
»Ein einziges Fläschchen?« Rhodri grapschte danach und schüttete sich den Inhalt ohne viel Federlesens in den Rachen.
»Keine Sorge, da ist noch mehr«, gab Sibyll mit beschwichtigendem Lächeln zurück. »Die Kisten sind
Weitere Kostenlose Bücher