Themsen, V: Elfenzeit 17: Korsar der Sieben Stürme
Sibyll.«
»Er ist ein Pirat wie jeder andere und ich ebenfalls. Außerdem nimmt er jedem, der will oder auch nicht, den Eid ab. Anders läuft das bei ihm nicht. Von daher bin ich ihm verpflichtet, solange er das Ruder in der Hand hält und seine Mannschaft nicht freigibt.«
Rian hätte gerne mehr über die Piratengepflogenheiten erfahren, doch ein kleiner runzeliger Kobold unterbrach ihr Gespräch. Mit kehliger Stimme bot er der Prinzessin einen Teller an, auf dem ein Brathering und schwarz verkohlte Süßkartoffeln lagen. Weil Rian Hunger hatte und frische Blumen oder Früchte nicht erreichbar schienen, nahm sie das Mahl mit schiefem Lächeln an, kratzte mit den Fingern die verbrannte Kruste ab und tunkte ein Stück in den öligen Saft, in dem der Fisch lag. Als sie es sich in den Mund steckte, schmeckte es genauso grauenvoll, wie es aussah.
In der Mitte des Platzes standen Rhodri und Suradet zusammen. Die Brüder plauderten, lachten und warfen ihr immer wieder amüsierte Blicke zu, die ihr kalte Schauer den Rücken hinauf- und wieder hinunterjagten. Was hatten die Entführer nur mit ihr vor?
Ein zarter Ton begleitete Rians Gedanken, trug sie in den Himmel hinauf über die Grenzen hinweg und umfing sie so warm, dass sich ein schmales Lächeln auf ihre Lippen stahl. Kurzzeitig riss sie ein hässliches raues Lachen zurück in die Wirklichkeit, der Ton aber blieb, schwoll an und erweiterte sich zu einer gezupften Melodie.
Überrascht blickte sich Rian um und sah einen Spielmann mit seiner Laute stehen. Seine Hände glitten flink über die Saiten und entlockten dem Instrument derart verzauberte Klänge, dass die Wesen um ihn herum verstummten, sich zu ihm umdrehten oder sich gleich zu seinen Füßen setzten. Genauso zart, wie sein Spiel begonnen hatte, setzte seine Stimme ein. Die Geschichte, die folgte, erzählte von kühnen Heldentaten, von Eroberungen und Kriegen, und Rian schien es, als würden die Bilder im Schein des Feuers lebendig, als schlügen sich dort in den Flammen die tapferen Krieger um Ruhm und Ehre, bis sie schließlich vergingen wie die letzten Flammen. Es war fast wie zu Hause, und heftiges Heimweh ergriff die Prinzessin. Vor allem dachte sie an Fanmór, ihren Vater, den sie im Zorn und Streit verlassen hatte. Womöglich gab es nie mehr Gelegenheit zur Versöhnung, und … David, Nadja und der kleine Talamh. Würde sie sie je wiedersehen?
Als der Barde zu einem weiteren Epos ansetzte, rief ein Elf aus den Reihen der Tänzerinnen dazwischen. »Wilbert, nicht noch so eine Heldengeschichte. Schenk uns ein wahres Lied, erzähl uns von der Singenden Jungfrau!«
Der Barde nickte und begann leise eine Melodie zu pfeifen, die Rian tief im Inneren berührte. Die fast schon geflüsterten Worte konnte sie nicht verstehen.
»Um was ging es in diesem Lied?«, wandte sie sich schließlich an Alriego, als der Barde es nach mehreren Strophen summend ausklingen ließ.
Der Walrossmann blickte sie mit seinen kleinen glänzenden schwarzen Augen an und strich sich langsam über die Bartborsten. »Haben sie dir schon gesagt, warum du hier bist?«, fragte er schließlich zurück.
Rian schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht. »Ich nehme an, dass es etwas mit meiner Unberührtheit zu tun hat, da man offenbar nicht vorhat, Lösegeld für mich zu verlangen oder mich auf dem Markt zu verschachern.«
»Ja«, sagte Alriego. »Du bist für sie wertvoll, weil du eine Jungfrau bist, genau wie das Mädchen in diesem Lied.«
»Dann erzähl mir die Geschichte.«
Der Walrossmann seufzte tief, starrte ins Feuer und nickte kaum merklich. »Also gut. Es ist die Geschichte von Evy, der Singenden Jungfrau. Aber ich warne dich. Ihr Ende wird dir nicht gefallen.«
Die Prinzessin rückte ein Stückchen näher, stellte den hölzernen Schnickschnack zwischen ihren Füßen auf dem Boden ab und machte sich bereit, endlich die Wahrheit zu erfahren.
»Vor langer, langer Zeit«, begann der Pirat, »als die Orang Laut noch zahlreich waren, Handel in Temasek betrieben und die Andamanensee allein unsicher machten, lebte drei Tagesreisen entfernt ein Elfenmädchen mit seinen Eltern auf einer Insel, die man allgemein Langkawi nannte. Das Mädchen hieß Evy, und sein Haar war grün wie Seegras, seine Haut schimmernd wie das Meer bei Sonnenuntergang. Evy war jung und unschuldig; sie spazierte den Strand entlang, sammelte Muscheln oder saß stundenlang auf den Felsen und sang den Fischen Lieder, die von Treue und Reinheit handelten.
Eines
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