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Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Titel: Thennberg oder Versuch einer Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gyoergy Sebestyen
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Stiefel, Kappen aus Filz oder Mützen aus Lammfell, feiern sie Schlachtfeste, gehen sie am Weihnachtsabend zur Mitternachtsmesse, versammeln sie sich im Wirtshaus, legen sie sich bei Einbruch der Dunkelheit schlafen, veranstalten sie Bälle, Tanzabende, Maskenfeste, hassen sie einander, weil sie nichts Besseres zu tun haben, schimpfen sie über die Ausländer, die jeden Abend hinter den vorbeisausenden Fenstern des Expresszuges zu sehen sind, der in Thennberg niemals hält, schimpfen sie über die aufgetakelten Weiber, über die geizigen Alten, über die Regierung, über die Juden, die immer nur Unruhe stiften, trinken sie Bier oderWein oder Schnaps? Vielleicht ist in Thennberg immer Winter gewesen, nur gerade, wenn ich in Thennberg war, war es Sommer, vorübergehend, für einen Augenblick, und sobald ich wegschaute, fiel bereits Schnee, und die Leute hatten an den Nasen Eiszapfen hän gen; den einzigen winterlichen Menschen aus Thennberg, Erich Mohaupt, habe ich nicht in Thennberg gesehen, sondern in Wien, im verschneiten Durchgang zwischen dem Michaelerplatz und der Habsburgergasse, dort, unter der Gedenktafel des Musiktheoretikers und Tondichters Franz Krenn haben wir einander meistens getroffen, im gelben Licht der Schaufenster, denn wir wohnten in der Bräunerstraße, und Mohaupt hatte sich in der Langegasse ein Untermietszimmer genommen, er kam mir entgegen, aber nur bis zum Durchgang, er war nur selten bei uns oben in der Wohnung, obwohl er sich hier, in Thennberg, nicht genierte, fast jeden Tag kam er ins Schloss.
    Da sind wir ja schon, das ist ja das Schloss, Fräulein Moravec, sehen Sie nur diesen Schaukelstuhl, er steht etwas deplaciert, vor dem Eingang, im Staub, und die Lehne und der Sitz sind zerrissen, aber das macht nichts, in diesem Schaukelstuhl war Onkel Edi gesessen, Eduard Kranz von der Anglo-Danubia, er trug einen Anzug aus makellos weißem Leinen und ein Hemd aus gelblicher Seide und einen Strohhut mit breiter Krempe, und Schuhe, die vorne braun waren und oben weiß, er hatte sich die Krawatten aus der Türkei schicken lassen, denn er trug nur Krawatten mit türkischem Muster, und dieses Muster wurde weder in Olmütz noch in Reichenberg richtigkopiert, er war Junggeselle und rauchte Zigarren, rauchte sie erst an, nachdem er ihr hart gewickeltes spitzes Ende abgebissen hatte, obwohl er eine Zigarrenschere besaß, die er in der linken oberen Westentasche trug, Edi Kranz, man kannte ihn selbst in der Londoner Zentrale, in der City. Jedes Mal, wenn er das Wort City aussprach, spie Onkel Edi den abgebissenen Teil der Zigarre in eine bauchige chinesische Vase, die in Spuckweite vom Schaukelstuhl in der Ecke stand.
    Die chinesische Vase war ein Geschenk von Tante Paula gewesen. Sie lebte in Zürich und war permanent unglücklich. Kommen Sie, Fräulein Moravec, kommen Sie nur, ich werde Ihnen die chinesische Vase zeigen, sie steht im Salon, nein, ich habe mich geirrt, sie steht doch nicht im Salon, denn es gibt offenbar keinen Salon mehr, was Sie, Fräulein Moravec, gewiss nicht verblüfft, denn Sie sind ja auch nicht anwesend, Sie halten sich gegenwärtig in einer Welt auf, in der sich alle aufhalten, die noch nicht da sind oder nie wieder da sein werden, vielleicht halten Sie sich gerade im Salon auf und betrachten die chinesische Vase. Sie war ein Geschenk von Tante Paula, die trübsinnig war, da sie gehofft hatte, von Vater geheiratet zu werden, aber Vater hatte nicht Tante Paula geheiratet, sondern ihre ältere Schwester, obwohl diese sich bereits mit dem Gedanken abgefunden hatte, den Schleier zu nehmen, nicht den Schleier der Nonnen natürlich, sondern jenen anderen, kürzeren Schleier, den Frauen vor ihren Gesichtern trugen, wenn sie elegant sein wollten oder nicht gleich erkennbar; dieser Schleier war also der Mutter vor dem Gesicht geflattert, sie war da bereits die Bewohnerineiner Garconniere, zog mit bulgarischen Ärzten herum oder mit französischen Malern und manchmal auch nur mit seltsamen Frauenzimmern, die sich für Psychoanalyse interessierten oder für Bewegungskunst oder für Rudolf Steiner oder für Marxismus oder für afrikanische Musik und manchmal für das alles zusammen. Sie hatte damals noch Rombach geheißen, Elfriede Rombach, sie hatte einige Semester Medizin studiert, sie tat, was sie wollte, ihr Vater bezahlte alles, der Fuhrmann Jakob Rombach, gebürtig aus einem Dorf bei Lemberg, Fuhrwerksunternehmer in Wien; als er starb, hatte er achtzehn Gummiradler und drei

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