Theo Boone - Der Überfall: Band 4 (Heyne fliegt) (German Edition)
Äußerungen sogar mit gelegentlichen Buhrufen.
Sebastian Ryan hatte schon fast eine Stunde lang am Rednerpult gestanden, als eine dramatische Wendung eintrat. Als sich die Diskussion kurz beruhigte, erhob sich ein breit gebauter, ungehobelt wirkender Mann um die vierzig mitten im Saal.
» Haben Sie vielleicht Angst abzustimmen?«, brüllte er.
Die scharfen Worte hallten durch die stickige Luft und wurden im Auditorium rasch aufgenommen.
Die Menge war begeistert, johlte und feuerte ihn an. Irgendwo hinten im Saal ertönte ein Singsang: » Abstimmen! Abstimmen!« Das war ansteckend, und binnen Sekunden waren überall im Saal Hunderte von Menschen aufgesprungen und skandierten in voller Lautstärke: » Abstimmen! Abstimmen!«
Theo brüllte mit und konnte sich nicht erinnern, sich je so gut amüsiert zu haben.
Ryan hatte während dieser Demonstration wohlweislich wieder Platz genommen. Stak wartete als Vorsitzender klugerweise, bis sich die Menge halbwegs ausgetobt hatte. Nachdem eine Minuten lang die Fensterscheiben unter dem Lärm gebebt hatten, hob er langsam die Hand und lächelte.
» Danke«, sagte er. » Bitte. Ja. Danke. Bitte nehmen Sie wieder Platz.«
Der Singsang verstummte. Widerwillig murrend, setzten sich die Anwesenden schließlich wieder– zumindest die, die einen Sitzplatz hatten. Theo und Dutzende von anderen standen mittlerweile seit fast drei Stunden.
» Bitte unterlassen Sie diese Bekundungen«, sagte Stak. » Laut Geschäftsordnung müssen wir heute abstimmen, haben Sie also bitte Geduld.«
Im Auditorium wurde es fast still.
Mr. Stak nahm ein Blatt Papier und musterte es stirnrunzelnd. » Dieser Liste zufolge haben sich einundneunzig Personen eingetragen, die sich zu Wort melden möchten.«
Viele in der Menge stöhnten auf. Es war 23.05 Uhr.
» Normalerweise beschränken wir die Redezeit bei so großen Versammlungen auf drei Minuten pro Sprecher«, fuhr Mr. Stak fort. » Einundneunzig Wortmeldungen von je drei Minuten wären rund zweihundertundsiebzig Minuten oder viereinhalb Stunden. Ich weiß nicht, ob irgendwer so lange hier sitzen möchte.«
Mr. Grimes unterbrach ihn. » Wir können die Geschäftsordnung doch ändern, oder?«
» Ja, dazu sind wir bevollmächtigt.«
» Dann schlage ich vor, die Zahl der Sprecher zu beschränken.«
Das löste eine weitere Diskussion innerhalb des Verwaltungsrats aus, der sich zehn Minuten lang darum stritt, wie er Zeit sparen konnte. Schließlich schlug Sam McGray, der Älteste im Verwaltungsrat und derjenige, der bisher am wenigsten gesagt hatte, eine Begrenzung auf fünf Redner und eine maximale Redezeit von fünf Minuten vor. Das würde gewährleisten, dass die Versammlung um Mitternacht beendet war und dennoch genügend unterschiedliche Meinungen zu Wort kamen. Er sprach aus, was alle wussten: dass viele Redner dasselbe sagen würden. Die anderen vier erklärten sich schließlich damit einverstanden, und die Geschäftsordnung wurde mit sofortiger Wirkung geändert. Stak forderte die Redner auf, sich in aller Eile mit ihren Freunden und Mitstreitern zu beraten und zu klären, wer welche Dinge sagen würde. Das löste weitere Unruhe aus und verbrauchte noch mehr Zeit.
Es war schon fast halb zwölf, als der erste Redner ans Pult trat. Er war ein gut gekleideter Herr von einem Wirtschaftskonzern, der die Umgehungsstraße für dringend notwendig hielt. Sein Beitrag enthielt nichts Neues: Die Battle Street ersticke im Verkehr, der Highway 75 sei für den Rest des Bundesstaates lebenswichtig, die wirtschaftliche Entwicklung hänge an der Umgehungsstraße und so weiter. Dann trat Hardies Vater ans Pult und hielt im Namen der Grundbesitzer, auf deren Land die neue vierspurige Schnellstraße gebaut werden sollte, einen Vortrag über den Missbrauch des Enteignungsrechts. Als Pastor wusste er, wie man predigte, und wirkte sehr überzeugend. Ein örtlicher Installationsunternehmer sprach sich für das Projekt aus, weil er acht Teams mit ebenso vielen Kleinbussen beschäftigte und sich von dem zähen Verkehrsfluss in der Stadt behindert fühlte.
Theo hörte gespannt zu, als er plötzlich merkte, dass Sebastian Ryan neben ihm stand.
» Theo, nimm mal deine Maske ab«, flüsterte Ryan.
» Was ist los?«, fragte Theo, als er das getan hatte.
Ryan wirkte ungewöhnlich nervös. Er beugte sich zu Theo herab. » Theo, wir finden, du solltest für alle Kinder und Jugendlichen hier sprechen.«
Theo blieb der Mund offen stehen, und er spürte, wie ihm der
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