Theo Boone - Der Überfall: Band 4 (Heyne fliegt) (German Edition)
gewesen wäre. Karten und Modelle wurden auf großen Bildschirmen vorn im Raum gezeigt, dieselben, die seit Wochen in Zeitungen und im Internet zu sehen gewesen waren. Nichts Neues.
Die Menge wurde unruhig, aber niemand verließ den Raum. Obwohl viele Kinder längst ins Bett gemusst hätten, blieben ihre Eltern eisern sitzen. Was machte es schon, wenn ihre Sprösslinge einmal zu wenig Schlaf bekamen? Hier ging es um viel Wichtigeres.
Der Ton wurde rauer, als sich Mr. Chuck Cerroni, das einzige Verwaltungsratsmitglied, das sich öffentlich gegen die Umgehungsstraße ausgesprochen hatte, mit den Fachleuten von der Straßenbaubehörde anlegte. Darüber ereiferte sich wiederum Mr. Lucas Grimes, ein vehementer Befürworter des Projekts, und der Ton wurde schärfer. Der wütende Wortwechsel belebte den Abend, allerdings nur für wenige Augenblicke. Als sich die beiden wieder beruhigt hatten, trat ein weiterer Sprecher der Behörde ans Pult und zog seinen Teil des Programms durch.
Es war schon fast zehn Uhr geworden, als die offizielle Präsentation endlich zu Ende ging.
Mr. Stak beugte sich zu seinem Mikrofon. » Vielen Dank für diese höchst informative Zusammenfassung des Projekts, meine Herren. Wir haben gestern beschlossen, einem Sprecher der Projektgegner fünfzehn Minuten Redezeit für eine Erwiderung einzuräumen. Meines Wissens wird dies Mr. Sebastian Ryan vom Umweltbeirat von Stratten County übernehmen.«
Die Menge, die die zweistündige Tortur endlich überstanden hatte, erwachte schlagartig zum Leben. Als Ryan zum Rednerpult ging, lief eine Welle neuer Energie durch den Saal.
Er stellte das Mikrofon ein und begann. » Danke, Mr. Stak, und vielen Dank an den Verwaltungsrat für diese Gelegenheit, unsere Meinung vorzutragen.« Er legte eine Pause ein. » Offen gesagt«, verkündete er dann dramatisch und mit lauter Stimme, » ist diese Umgehungsstraße ein durch und durch unsinniges Projekt.«
Der Raum explodierte geradezu, Hunderte von Gegnern des Vorhabens applaudierten und brachen in Beifallsrufe aus. Endlich sollten sie gehört werden! Die Menge tobte und klatschte frenetisch, ein Energieausbruch, der geradezu beängstigend wirkte– vor allem auf die fünf Mitglieder des Verwaltungsrats. Mr. Stak hob eine Hand und wartete gelassen, bis sich der Lärm gelegt hatte.
» Danke, das reicht«, sagte er dann. » Bitte halten Sie sich zurück. Wenn Sie nicht in der Lage sind, Ruhe zu bewahren, muss ich Sie auffordern, den Saal zu verlassen.«
Er blieb höflich, wahrscheinlich wusste er aus langjähriger Erfahrung, dass man damit am meisten erreichte.
Die Menge beruhigte sich vorübergehend, aber es bestand wenig Zweifel daran, dass es jederzeit zu neuen Ausbrüchen kommen konnte. Gelangweilte Erwachsene waren plötzlich höchst interessiert. Schläfrige Kinder waren hellwach. Sie lauschten gespannt, als Sebastian Ryan Punkt für Punkt seine Kritik an der Umgehungsstraße vortrug.
Jedes seiner Worte war absolut überzeugend, zumindest fand Theo das, der den Blick nicht von Ryan am Rednerpult wenden konnte. Er war intelligent, ruhig und mit dem Bart und seinen etwas längeren Haaren für Theo bei Weitem der coolste Sprecher des heutigen Abends. Ryan war ein Anwalt, der sich von Gerichtsverhandlungen fernhielt und stattdessen für den Schutz der Umwelt kämpfte. Theo hatte bisher nie erwogen, auf diese Weise tätig zu werden, aber im Augenblick war Sebastian Ryan sein großes Vorbild. Obwohl er sich ein wenig dafür schämte, beneidete er Ryan geradezu, dass er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand.
Aber nicht jeder war so beeindruckt. Mr. Lucas Grimes und ein weiteres Mitglied des Verwaltungsrats, ein gewisser Mr. Buddy Klasko, fingen an, Ryan mit Fragen zu bombardieren. Jeder wusste, dass Grimes für die Umgehungsstraße war, und bald stellte sich heraus, dass Klasko sie ebenfalls befürwortete. Mit der Stimme von Stak, der sich bereits lautstark dafür ausgesprochen hatte, waren das drei von fünf– die Mehrheit. Ein Sieg.
Nach einer halben Stunde Zankerei wirkte Sebastian Ryan zunehmend gereizt. Aus gutem Grund. Grimes und Klasko hackten immer aggressiver auf jedem Detail herum. Mr. Cerroni, ein erklärter Gegner des Projekts, versuchte Ryan beizuspringen, und eine Zeit lang schienen alle fünf Verwaltungsratsmitglieder durcheinanderzurufen und mit den Fingern aufeinander zu zeigen. Das kam beim Publikum schlecht an, die Zuschauer murrten, stöhnten und quittierten besonders dumme Fragen und
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