Theo Boone - Der Überfall: Band 4 (Heyne fliegt) (German Edition)
fand weit hinten im Raum einen Stehplatz, und als er sich umsah, blickte er zu seiner Überraschung in ein Meer von Gelb. Hunderte Kinder waren gekommen, und alle trugen Maske und Bandanatuch. Viele Eltern ebenfalls.
Irgendein Verwaltungsbeamter bat um Ruhe. Der Verwaltungsrat befasse sich noch mit einem anderen Thema und müsse sich konzentrieren. Theo blickte nach unten, um das angespannte Gesicht von Mr. Mitchell Stak zu beobachten, der als Vorsitzender direkt in der Mitte des Tisches ganz am anderen Ende des Raums saß. Der Verwaltungsrat setzte sich ausschließlich aus weißen Männern zusammen, die allesamt recht besorgt dreinblickten.
Die Galerie wurde geöffnet und füllte sich rasch. Ein Brandschutzbeauftragter gab bekannt, die für den Raum maximal zulässige Personenzahl sei erreicht, es könne nun niemand mehr eingelassen werden. Weit weg, auf der anderen Seite des Saals, entdeckte Theo seine Mutter. Sie konnte ihn natürlich nicht erkennen, weil sein Gesicht fast vollständig hinter der gelben Maske verschwand und auf seiner Stirn das Wort » GIFT « prangte– wie bei mehreren hundert Kindern im Auditorium. Theo winkte ihr zu, aber sie sah ihn nicht. Mr. Boone war nicht gekommen.
Der Verwaltungsrat unterbrach seine Sitzung, ging in die Pause und verschwand. Die Menge war unruhig, nervöses Gerede und angespannte Erwartung bestimmten die Atmosphäre. Es sah so aus, als wären mindestens zehnmal mehr Gegner des Projekts anwesend als Befürworter, und es war schwer vorstellbar, dass der Verwaltungsrat den Mut haben würde, gegen eine solche Übermacht zu entscheiden. Binnen weniger Minuten kehrten die fünf Ratsmitglieder zurück, nahmen erneut ihre Plätze ein und blickten in den überfüllten Saal. Sie freuten sich nicht gerade auf die nächsten drei Stunden.
Mr. Stak zog sein Mikrofon zu sich heran. » Guten Abend und danke, dass Sie gekommen sind. Es ist immer erfreulich, wenn sich unsere Bürger für die Tagespolitik interessieren. Wir möchten Ihre Meinung hören und hoffen, dass dafür genügend Zeit bleibt. Unsere Geschäftsordnung regelt den Ablauf dieser öffentlichen Anhörung. Bitte bleiben Sie stets höflich und werden Sie nicht ausfällig. Beifallsäußerungen, Applaus, Missfallensbekundungen, Pfiffe und Zwischenrufe sind untersagt. Der öffentliche Protest muss sich auf den Vortrag am Rednerpult beschränken. Wir beginnen mit der offiziellen Vorstellung dieses Bauvorhabens, das allgemein als Red-Creek-Umgehungsstraße bekannt ist; dazu haben wir mehrere Vertreter der Straßenbaubehörde des Bundesstaates eingeladen. Die Mitglieder des Verwaltungsrats werden Gelegenheit haben, Fragen zu stellen und das Thema zu erörtern. Im Anschluss daran können sich, sofern es die Zeit erlaubt, besorgte Bürger äußern.«
Eine Gruppe Männer in dunklen Anzügen erhob sich und postierte sich im Halbkreis um das Rednerpult. Ein Sprecher der Straßenbaubehörde stellte sich vor und begann, eine weitschweifige, langweilige Einführung in das Projekt zu verlesen. Nach zehn Minuten war es ihm gelungen, der aufgeregten Stimmung einen gewaltigen Dämpfer zu verpassen. Die Präsentation schien kein Ende finden zu wollen. Der erste Sprecher übergab das Wort einem zweiten, einem Fachmann für Verkehrsanalysen, der die Zuhörer mit einem Wust von Zahlen überschüttete.
Schon für Erwachsene ist es schwierig, sich auf trockene Vorträge zu konzentrieren. Für Kinder und Jugendliche ist es unmöglich. Theo hatte es satt, durch die Maske zu atmen, und ihm war sterbenslangweilig.
» Die versuchen, uns zu Tode zu langweilen, damit wir nach Hause gehen«, sagte ein Erwachsener hinter ihm deutlich vernehmbar. » Das ist ein alter Trick.«
» Genau, und deswegen haben sie auch erst um acht angefangen«, pflichtete ein anderer ihm bei. » Der Termin hätte viel früher angesetzt werden müssen.«
Im Auditorium wurde es unruhig. Kinder und Jugendliche verschwanden auf die Toilette, weil sie es auf ihren Plätzen nicht mehr aushielten.
Dann übernahm ein dritter Sprecher. » Diese zweite Verkehrsanalyse ist deutlich kürzer als die erste, daher möchte ich sie im Detail erläutern«, verkündete er mit monotoner Stimme, die sich weder hob noch senkte.
Die Menge stöhnte auf. Manchmal stellte ein Mitglied des Verwaltungsrats eine Frage, um das Ganze aufzulockern, aber die meiste Zeit schwafelten Sprecher und Experten des Bundesstaates ohne Punkt und Komma vor sich hin. Es wurde neun Uhr, ohne dass ein Ende in Sicht
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