Theo Boone und das verschwundene Mädchen: Band 2 (German Edition)
weg.«
»Das wird ja wohl die Leiche gewesen sein. Jeder weiß, dass die Polizei einen Toten gefunden hat. Was denkst du denn?«
»Lass uns das Thema wechseln, Chase.«
Chase hatte bisher wenig Interesse an Mädchen gezeigt und noch weniger an April. Das beruhte auf Gegenseitigkeit. Bis auf Theo hatte April nichts für Jungen übrig.
Unten gab es eine Auszeit, und die Stratten-Cheerleader übernahmen das Spielfeld, hüpften, sprangen und warfen einander durch die Luft. Theo und Chase verstummten und verfolgten das Schauspiel. Für zwei Dreizehnjährige waren die kurzen Auftritte der Cheerleader faszinierend.
Als die Auszeit vorbei war, gehörte das Spielfeld wieder den Mannschaften, und das Spiel ging weiter. Mrs. Boone sah sich nach den Jungen um, Mrs. Whipple folgte ihrem Beispiel.
»Warum drehen die sich ständig nach uns um?«, flüsterte Theo Chase zu.
»Weil sie sich Sorgen um uns machen. Deshalb sind wir hier, Theo. Deshalb gehen wir nach dem Spiel Pizza essen. Die denken, wir sind völlig fertig, weil ein entflohener Sträfling eine Mitschülerin entführt und in den Fluss geworfen hat. Meine Mutter sagt, die Eltern machen sich im Augenblick alle Sorgen um ihre Kinder.«
Dem Aufbauspieler von Stratten, der deutlich unter 1,80 Meter groß war, gelang ein Slam Dunk. Die Menge tobte. Theo versuchte, nicht an April– oder an Chase– zu denken, und konzentrierte sich auf das Spiel. In der Halbzeit gingen die Jungen Popcorn holen. Theo nutzte die Gelegenheit, um Woody anzurufen. Woody und sein Bruder hörten den Polizeifunk ab und surften im Internet, aber bisher hatte sich die Polizei nicht geäußert. Keine Bestätigung der Identität der Leiche. Nichts. Alles war ruhig.
Santo war eine typisch italienische Pizzeria. Theo liebte das Lokal, weil es immer voller Studenten war, die auf den Breitbildfernsehern irgendwelche Spiele verfolgten. Die Boones und die Whipples suchten sich einen Tisch und bestellten zweimal Santos weltberühmte italienische Pizza. Theo hatte nicht die Energie, darüber nachzudenken, ob die Pizza wirklich so berühmt war. Er hatte seine Zweifel, genau wie bei Gertrudes Nusswaffeln und Mr. Dudleys Karamellbonbons. Wie konnten es gleich drei Spezialitäten aus einer Kleinstadt wie Strattenburg zu Weltruhm bringen?
Theo ließ die Sache auf sich beruhen.
Stratten College hatte das Spiel in letzter Minute verloren, und Mr. Boone fand, der Trainer habe die Auszeiten nicht richtig genutzt– ein schwerer Fehler. Mr. Whipple war davon nicht überzeugt, und bald war eine lebhafte Diskussion im Gang. Mrs. Boone und Mrs. Whipple, beide viel beschäftigte Anwältinnen, hatten schnell genug vom Thema Basketball und fingen an, sich über die geplante Renovierung des großen Sitzungssaals im Gericht zu unterhalten. Theo interessierte sich für beide Gespräche und versuchte zu folgen. Chase spielte auf seinem Handy ein Videospiel. In einer entfernten Ecke stimmten die Mitglieder von irgendeiner Studentenverbindung ein Lied an. Das Publikum an der Bar jubelte über eine Aktion im Fernsehen.
Alle schienen glücklich und nicht im Geringsten an April interessiert.
Theo wollte nur noch nach Hause.
Elf
Freitagmorgen. Nach einer unruhigen Nacht, in der er immer wieder eingedöst war, um sofort wieder aufzuschrecken, und von Albträumen, Stimmen und Visionen heimgesucht wurde, gab Theo um halb sieben auf. Als er auf der Bettkante saß und überlegte, welch furchtbare Neuigkeiten der Tag wohl bringen würde, stieg ihm der unverkennbare Duft von Würstchen in die Nase. Seine Mutter machte höchst selten Würstchen und Pfannkuchen– nur, wenn sie meinte, ihr Sohn und manchmal auch ihr Ehemann bräuchten einen morgendlichen Energieschub. Aber Theo war nicht hungrig. Er hatte keinen Appetit und bezweifelte, dass sich das bald ändern würde. Judge, der unter dem Bett schlief, steckte den Kopf heraus und sah Theo an. Beide wirkten übernächtigt und unausgeschlafen.
»Tut mir leid, wenn ich dich wachgehalten habe, Judge«, sagte Theo.
Judge schien die Entschuldigung anzunehmen.
»Aber du kannst ja den ganzen Tag schlafen und hast sonst nichts vor.«
Judge widersprach nicht.
Am liebsten hätte Theo seinen Laptop aufgeklappt, um die Lokalnachrichten zu lesen, aber er beherrschte sich. Dann überlegte er, ob er nach der Fernbedienung greifen und den Fernseher einschalten sollte. Auch keine gute Idee. Stattdessen duschte er ausgiebig, zog sich an, packte seinen Rucksack und wollte gerade nach unten
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