Theo Boone und das verschwundene Mädchen: Band 2 (German Edition)
überall auf dem Platz herum. Es war das reinste Chaos. Fast wäre ich über den Haufen gerannt worden.«
»Galopp! Galopp!«, zeterte Pete.
»Da sehen Sie es selbst«, schimpfte Judy Cross. »Seit über einer Woche schikaniert er uns. Entweder stürzt er sich wie ein Kampfflieger vom Himmel und erschreckt die Pferde oder er versteckt sich in einem Baum, wartet, bis alles ruhig ist, und brüllt dann Kommandos. Dieser Vogel ist bösartig. Unsere Pferde trauen sich gar nicht mehr aus dem Stall. Unsere Schüler wollen ihr Geld zurück. Er treibt uns in den Ruin.«
»Du bist dick«, sagte Pete mit perfektem Timing.
Er wartete fünf Sekunden und probierte es gleich noch einmal. »Du bist dick.« Die Worte hallten über das verblüffte Publikum hinweg. Die meisten Anwesenden blickten betreten auf ihre Schuhe– oder Stiefel.
Judy Cross schluckte mühsam, kniff die Augen zu, ballte die Fäuste und verzog schmerzlich das Gesicht. Sie war eine massige, breit gebaute Frau, die ihr Leben lang überflüssige Pfunde mit sich herumgeschleppt und darunter gelitten hatte. Ihre Reaktion verriet, dass ihr Gewicht sie im Laufe der Jahre immer wieder vor Probleme gestellt hatte. Sie hatte dagegen gekämpft und kläglich verloren. Ihr Übergewicht war ein heikles Thema, mit dem sie jeden Tag aufs Neue rang.
»Du bist dick«, erinnerte Pete sie zum dritten Mal.
Richter Yeck, der verständlicherweise am liebsten laut gelacht hätte, unterdrückte den Drang und warf sich in die Bresche. »Das reicht. Können wir davon ausgehen, dass die anderen Zeuginnen bereit sind, ähnliche Aussagen zu machen?« Die Frauen nickten. Einige von ihnen sanken auf ihren Stühlen zusammen, versteckten sich geradezu. Ihr Kampfgeist schien erloschen. Wer hässliche Dinge über Pete zum Besten geben wollte, musste schon sehr mutig sein. Schließlich wusste keine der Frauen, wie der Vogel ihre Figur kommentieren würde.
»Sonst noch etwas?«, fragte Richter Yeck.
»Sie müssen eingreifen«, drängte Kate Spangler. »Dieser Vogel treibt uns in den Ruin. Wir haben durch die Sache bereits Geld verloren. Das ist einfach nicht fair.«
»Was soll ich denn tun?«
»Das ist mir egal. Können Sie ihn nicht einschläfern lassen?«
»Ich soll ihn umbringen?«
»Halt! Halt!«, kreischte Pete.
»Vielleicht könnten Sie ihm die Flügel stutzen«, warf Judy Cross ein.
»Halt! Halt!«, wiederholte Pete, bevor er ins Kreolische wechselte und die beiden Frauen mit einem Schwall von Schimpfwörtern bedachte.
Als er fertig war, sah Richter Yeck Anton an. »Was hat er gesagt?«
Antons Großeltern kicherten hinter vorgehaltener Hand.
»Sehr hässliche Dinge«, erklärte Anton. »Er mag die beiden Damen nicht.«
»Das ist mir klar.« Der Richter hob erneut die Hände, um Ruhe zu verlangen. Pete verstummte. »Mr. Boone.«
»Ich meine, es könnte uns weiterbringen, wenn mein Freund Anton Ihnen mehr über Petes Geschichte erzählt.«
»Nur zu.«
Anton räusperte sich nervös. »Pete ist fünfzig Jahre alt. Mein Vater hat ihn von seinem Vater bekommen, als er ein kleiner Junge in Haiti war. Pete ist also schon lange in der Familie. Als meine Großeltern vor ein paar Jahren in die USA kamen, brachten sie Pete mit. Afrikanische Graupapageien gehören zu den intelligentesten Tieren der Welt. Wie Sie sehen, hat er einen großen Wortschatz. Er versteht, was andere sagen. Er kann sogar menschliche Stimmen imitieren.«
Pete beobachtete Anton, dessen Stimme ihm durch und durch vertraut war. »Andy, Andy, Andy«, sagte er.
»Ich bin ja da, Pete«, gab Anton zurück.
»Andy, Andy.«
Eine Pause, dann sprach Anton weiter: »Für Papageien ist es wichtig, dass sie einen geregelten Tagesablauf haben und jeden Tag mindestens eine Stunde außerhalb des Käfigs verbringen. Jeden Tag um vier wird Pete freigelassen. Wir dachten, er wäre im Garten. Offenbar war das ein Irrtum. Der Reitstall ist anderthalb Kilometer von uns entfernt, aber irgendwie muss er ihn gefunden haben. Die Sache tut uns wirklich leid, aber bitte tun Sie Pete nichts.«
»Danke«, sagte Richter Yeck. »Nun, Mr. Blaze, was schlagen Sie vor?«
»Euer Ehren, es ist offensichtlich, dass die Halter den Vogel nicht unter Kontrolle haben, obwohl sie dazu verpflichtet sind. Als Kompromiss könnte das Gericht anordnen, ihm die Flügel stutzen zu lassen. Ich habe mich bei zwei Tierärzten und einem Spezialisten für Wildtiere erkundigt. Alle sagen, solch eine Maßnahme wäre nicht ungewöhnlich. Sie ist weder schmerzhaft
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