Theo Boone und das verschwundene Mädchen: Band 2 (German Edition)
am Stadtrand in der Barkley Street, in der Nähe von Quarry.«
Bei dem Wort Quarry warf sie Theo einen bedeutungsvollen Blick zu. Das war kein gutes Viertel. Die meisten Leute dort waren arm, und es gab viele Einwanderer, von denen einige noch nicht einmal Papiere hatten.
»Seine Eltern arbeiten außerhalb der Stadt, und Anton lebt bei seinen Großeltern. Weißt du, was das ist?«, fragte sie und reichte Theo ein Schriftstück. Er überflog es rasch.
»Oh je«, entfuhr es ihm.
»Kennst du dich mit dem Tiergericht aus, Theo?«, fragte sie.
»Ja, ich war ein paarmal da. Meinen Hund musste ich auch vor dem Tiergericht retten.«
»Kannst du mir und Anton erklären, worum es geht?«
»Selbstverständlich. Das ist eine Vorladung von Richter Yeck vom Tiergericht. Hier steht, ein gewisser Pete ist gestern von der städtischen Tierüberwachungsbehörde in Gewahrsam genommen worden.«
»Die sind zu uns nach Hause gekommen und haben ihn geholt«, sagte Anton. »Angeblich ist er verhaftet! Pete war sehr verstört.«
Theo las immer noch die Vorladung. »Hier steht, Pete ist ein afrikanischer Graupapagei unbekannten Alters.«
»Er ist fünfzig und schon seit vielen Jahren in meiner Familie.«
Theo warf einen Blick auf Anton und merkte, dass der Junge feuchte Augen hatte.
»Die Anhörung ist heute um 16.00 Uhr im Tiergericht. Richter Yeck wird in der Verhandlung entscheiden, was mit Pete passiert. Weißt du, was ihm vorgeworfen wird?«
»Er hat ein paar Leute erschreckt«, sagte Anton. »Mehr weiß ich nicht.«
»Kannst du da was machen, Theo?«, fragte Mrs. Gladwell.
»Natürlich«, erwiderte Theo etwas zögerlich. Eigentlich liebte er das Tiergericht, weil sich jeder, auch ein dreizehnjähriger Achtklässler, selbst vertreten konnte. Am Tiergericht herrschte keine Anwaltspflicht, und Richter Yecks Verhandlungen liefen eher lässig ab. Yeck war ein Außenseiter, den mehrere Anwaltskanzleien vor die Tür gesetzt hatten, weil er als ernsthafter Jurist nicht viel taugte. Mit seiner Position als belächelter Richter war er nicht gerade zufrieden. Die meisten Anwälte machten einen Bogen um das sogenannte Karnickelgericht, das sie für unter ihrer Würde hielten.
»Danke, Theo.«
»Aber dann muss ich jetzt weg«, sagte er geistesgegenwärtig. »Ich muss mich vorbereiten.«
»Du kannst gehen«, erwiderte die Direktorin.
Um 16.00 Uhr ging Theo die Treppe zum Untergeschoss des Gerichts hinunter, passierte ein paar Lagerräume und kam schließlich an eine Holztür, auf die in schwarzen Druckbuchstaben die Aufschrift » TIERGERICHT , RICHTER SERGIO YECK « gemalt war. Er war nervös und freute sich zugleich. Wo sonst konnte ein Dreizehnjähriger wie ein echter Anwalt ein Plädoyer halten? Er hatte eine Aktentasche aus Leder bei sich, die Ike ihm vermacht hatte. Theo öffnete die Tür.
Was immer Pete angestellt hatte, er hatte gründliche Arbeit geleistet. Theo hatte das Tiergericht noch nie so voll gesehen. Auf der linken Seite des kleinen Sitzungssaals hatte eine Gruppe Frauen mittleren Alters Platz genommen, die allesamt enge braune Reithosen und schwarze, kniehohe Lederstiefel trugen. Keine von ihnen schien besonders glücklich zu sein. Rechts, so weit wie möglich von den Damen entfernt, saßen Anton und zwei ältere Schwarze. Alle drei wirkten völlig verängstigt. Theo ging zu ihnen und begrüßte sie. Anton stellte ihm seine Großeltern vor, deren ausländischen Namen er erst auf Nachfrage verstand. Sie sprachen einigermaßen Englisch, allerdings mit starkem Akzent. Anton sagte etwas zu seiner Großmutter. Die sah Theo an.
»Du bist unser Anwalt?«
Darauf gab es nur eine Antwort. »Ja«, sagte Theo.
Sie brach in Tränen aus.
Eine Tür öffnete sich, und Richter Yeck erschien aus irgendeinem Hinterzimmer. Er trat an den langen Richtertisch und setzte sich. Wie immer trug er Jeans, Cowboystiefel, Hemd ohne Krawatte und Sportsakko. Im Karnickelgericht war keine schwarze Robe erforderlich. Er griff nach einem Blatt Papier und sah sich im Saal um. Auf seiner Prozessliste standen nur selten interessante Fälle. Meistens ging es um Hunde oder Katzen, die von der städtischen Tierüberwachungsbehörde aufgesammelt worden waren. Wenn es mal einen echten Streitfall gab, genoss er das geradezu.
Er räusperte sich vernehmlich. »Wie ich sehe, geht es hier um einen Papagei namens Pete. Halter sind Mr. und Mrs. Regnier.« Er sah die Haitianer an und wartete auf Bestätigung.
Theo meldete sich zu Wort. »Euer Ehren, ich
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