Theo Boone und das verschwundene Mädchen: Band 2 (German Edition)
North Carolina überquerten, war er wach, aber als sie Chapel Hill erreichten, schlief er.
Um 21.00 Uhr schrieb er an seine Mutter: Geh jetzt schlafen. Total müde. HDL .
Vermutlich waren seine Eltern beim offiziellen Abendessen und hörten sich endlos lange Reden an, da würde seine Mutter kaum Gelegenheit haben, ihm zu antworten. Und so war es.
»Wach auf, Theo«, sagte Ike. »Wir sind da.« Sie hatten während der sechsstündigen Fahrt keine einzige Pause gemacht. Der Digitaluhr an der Armaturentafel zeigte 22.05 Uhr. Das Navi führte sie schnurstracks zur Franklin Street, einer Hauptverkehrsstraße, die direkt am Universitätsgelände entlang führte. Auf den Gehwegen drängten sich lärmende Studenten und Fans. Die UNC hatte das Footballspiel in der Verlängerung gewonnen, und die Stimmung war aufgekratzt. Kneipen und Geschäfte waren überfüllt. Ike bog in die Columbia Street ein, und sie passierten mehrere große Gebäude, die den Studentenverbindungen gehörten.
»Wo soll man hier bloß parken?«, murmelte Ike vor sich hin. »Das da muss Fraternity Court sein«, verkündete er, wobei er auf den Bildschirm des Navis zeigte. Der zeigte einen Bereich mit den Häusern verschiedener Studentenverbindungen, zwischen denen ein Parkplatz lag. »Ich vermute, das Haus von Kappa Theta ist auch da irgendwo.«
Theo fuhr sein Fenster herunter, als sie sich durch den dichten Verkehr schlängelten. Laute Musik drang aus den Häusern, in denen verschiedene Bands spielten. Die Menschen standen dicht an dicht auf Veranden und Rasenflächen, saßen auf Autos, unterhielten sich, tanzten, lachten, wanderten in Gruppen von Haus zu Haus und riefen sich laute Kommentare zu. Es war eine wilde Szene. Theo hatte so etwas noch nie gesehen. Am Stratten College gab es gelegentlich eine Schlägerei oder eine Drogenrazzia, aber das war auch alles. Zuerst fand er es aufregend, aber dann fiel ihm April ein. Sie steckte irgendwo mitten in diesem riesigen Karneval, der überhaupt nichts für sie war. April war ruhig und schüchtern. Am liebsten war sie allein mit ihren Zeichnungen und Bildern.
Ike bog einmal ab, dann noch einmal. »Wir müssen den Wagen irgendwo abstellen und zu Fuß gehen.« Überall parkten Fahrzeuge, die meisten davon im Halteverbot. In einer schmalen, dunklen Straße weitab vom Trubel fanden sie einen Platz.
»Du bleibst hier, Judge«, sagte Theo. Der Hund sah ihnen nach.
»Was ist der Plan, Ike?«, fragte Theo, als sie in flottem Tempo über den dunklen, unebenen Gehweg marschierten.
»Pass auf, wo du hintrittst«, mahnte Ike. »Wir haben keinen Plan. Erst mal suchen wir das Haus und die Band, dann lasse ich mir was einfallen.«
Sie gingen dem Lärm nach und erreichten von der Rückseite des Platzes her den Fraternity Court. Dort mischten sie sich unter die Menge. Keinem schien aufzufallen, dass ein Zweiundsechzigjähriger mit langem, grauem Pferdeschwanz, roten Socken, Sandalen und einem mindestens dreißig Jahre alten Karopullover und ein Dreizehnjähriger, der mit vor Staunen geweiteten Augen durch die Menge wanderte, nicht so recht ins Bild passten.
Das Haus von Kappa Theta war ein großes, weißes Steingebäude mit griechischen Säulen und einer riesigen Veranda. Ike und Theo kämpften sich durch die Menge die Stufen hinauf und erkundeten die Veranda. Ike wollte herausfinden, wo sich Ein- und Ausgänge befanden, und feststellen, welche Band spielte. Die Musik war laut, wurde aber von Gelächter und Geschrei noch übertönt. Theo hatte in seinem jungen Leben noch nie so viele Bierdosen gesehen. Mädchen tanzten auf der Veranda; ihre Begleiter sahen ihnen dabei zu und rauchten. Ike fragte eines der Mädchen nach der Band.
»Im Keller«, lautete die Antwort.
Sie schlängelten sich wieder bis zur Vordertreppe durch und sahen sich um. Der Eingang wurde von einem breit gebauten jungen Mann im Anzug bewacht, der offenbar darüber entschied, wer hinein durfte und wer nicht.
»Dann mal los«, sagte Ike. Gefolgt von Theo, hängte er sich an eine Studentengruppe dran, die sich auf die Tür zubewegte. Als sie schon fast durch waren, packte der Ordner oder Türsteher, oder was immer er war, Ike am Unterarm.
»Hey, du da!«, fuhr er ihn an. »Hast du einen Pass?«
Ike machte sich empört los und sah aus, als hätte er dem Kerl am liebsten eine gelangt. »Ich brauche keinen Pass, Kleiner«, zischte er. »Ich bin der Bandmanager, und das ist mein Sohn. Nimm die Finger weg.«
Die anderen Studenten traten ein paar
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