Theo Boone - Unter Verdacht: Band 3 (Heyne fliegt) (German Edition)
Blut?
Theo wünschte sich plötzlich, mehr vorweisen zu können. Wie üblich übertrieb er ein wenig.
Aufgeplatzte Lippe. Blut.
Wahnsinn! Wann kann ich das sehen?
Später. Erst musst du was lernen.
Er brütete weiter vor sich hin. Fünf Minuten später klopfte es an der Tür. Bevor Theo etwas sagen konnte, stand Vince im Zimmer und schaltete das Licht ein. Damit hatte ihm nun die gesamte Kanzlei die Ehre erwiesen– natürlich mit Ausnahme von Marcella Boone, die noch früh genug kommen würde.
Vince war seit vielen Jahren ihr Anwaltsassistent. Er erledigte die Routinearbeit in Mrs. Boones Scheidungssachen, was nicht immer angenehm war. Er war häufig unterwegs, überprüfte Mandantinnen, spionierte deren Ehemännern nach und untersuchte die Fakten. Theo wusste seit Langem, dass Scheidungswillige ihren Anwälten nicht immer die Wahrheit sagten, und Vince war dafür zuständig, die Aussagen zu kontrollieren. Er war um die fünfunddreißig, ledig, ein netter Kerl mit einem harten Job.
Elsa war weinend ins Zimmer gekommen, Dorothy hatte ausgesehen, als stünde sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Ganz anders Vince. Der lehnte sich grinsend an die Tür. » Nicht schlecht, Theo. Hast du ihm ordentlich eine verpasst?«
Endlich lächelte auch Theo. Wenn er die Geschichte schon immer wieder erzählen musste, konnte er sie auch ein wenig ausschmücken. » Ja«, sagte er.
» Guter Junge. Theo, du hast soeben eine wichtige Lektion gelernt. Manchmal muss man sich verteidigen, ganz gleich, wie die Umstände sind.«
» Ich konnte nicht klein beigeben.«
» Eine Suspendierung ist keine große Sache, solange das nicht zur Gewohnheit wird. Ich bin in der sechsten Klasse auch mal suspendiert worden.«
» Im Ernst?«
» Und ob. Ich bin in Northchester aufgewachsen, und wir mussten zu Fuß zur Schule gehen. Ein gewisser Jerry Prater, ein ziemlich unangenehmer Typ, schikanierte mich nach Strich und Faden. Einmal pro Woche fing er mich vor dem Unterricht auf dem Schulhof ab, schlug mich nieder, gab mir ein paar Tritte und nahm mir meine Lunchbox weg. Die ganzen leckeren Sachen wie Chips, Kekse und Schinkenbrote behielt er für sich, Äpfel und Karotten ließ er mir übrig. Am nächsten Tag nahm er sich dann einen von meinen Freunden vor und machte das Gleiche. Wahrscheinlich hatte Jerry immer Hunger. Auf jeden Fall machte er uns das Leben schwer. Ich hatte einen älteren Bruder auf der Highschool, der hat mir erklärt, dass solche Schulhoftyrannen im Grunde Feiglinge sind, die immer schlimmer werden, wenn man ihnen keine Grenzen setzt. Und mein Bruder hat mir auch gesagt, wie ich das tun sollte. Ich versteckte mein Essen in meinem Rucksack und füllte die Lunchbox mit Steinen. Als ich am nächsten Morgen Jerry auf dem Schulhof sah, ging ich direkt zu ihm hin. Er wollte schon ausholen, aber ich kam ihm zuvor und knallte ihm die Lunchbox ins Gesicht. Ziemlich fest. Der Schlag war so kräftig, dass die Haut über seinem Wangenknochen aufplatzte. Er schrie, fiel hin, und ich gab ihm noch ein paar auf den Schädel. Mittlerweile drängten sich die Schüler um uns, und ein Lehrer kam angerannt. Achtzehn Stiche, zehn über dem Wangenknochen. Alle schrien auf mich ein, und mein Vater musste mich von der Schule abholen. Ich erklärte ihm die Sache, und er hatte Verständnis. Meine Mutter weinte, aber so sind Mütter eben. Auf jeden Fall ließ Jerry mich danach in Ruhe.«
» Ist ja irre. Wie lange warst du suspendiert?«
» Eine Woche. Eine Weile wurde ich behandelt wie ein Held, aber irgendwann war mir nicht mehr wohl dabei. Jerry Prater hatte eine Abreibung verdient, aber jetzt hatte er eine Narbe mitten im Gesicht. Das war meine letzte Schlägerei, Theo. Ich hatte mich zwar gewehrt, aber mithilfe einer Waffe. Ich hätte die blanken Fäuste nehmen sollen. Das tut mir immer noch leid.«
» Was ist aus Jerry geworden?«
» Er hat die Schule abgebrochen und ist später im Gefängnis gelandet. Im Grunde hatte er nie eine Chance. Auf jeden Fall hast du dich genau richtig verhalten, mach dir also keinen Kopf.«
» Ich will nicht, dass meine Mutter ausrastet.«
» Das wird sie nicht. Dazu kenne ich deine Mutter zu gut, Theo.«
Als er gegangen war, döste Theo ein, und Judge ging auf die Suche nach etwas Essbarem.
Sie trafen sich in der Mittagspause im Besprechungszimmer. Theo saß am Ende des langen, imposanten Tisches, flankiert von beiden Eltern. Vor ihm stand ein Sandwich mit Hähnchensalat, auf das er überhaupt keine Lust
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