Theo
freundlichsten Gesichter. Und sie halten ruhig, wenn man mit ihnen spricht. Leider haben sie immer nur eine Vorderseite. Wenn umgeblättert wird, sind sie auf einmal alle weg.
Das Faszinierende an Tieren jeder Art ist die mit ihnen verbundene Geräuschkulisse. Zu Theos Lieblingsbeschäftigungenzählt das Imitieren von Tierstimmen. Manche Tiere scheinen wie geschaffen, von Erwachsenen nachgeäfft zu werden. Keiner grunzt schweinischer als Onkel Michi. Opa wiederum zählt zu den besten Wieherern der Umgebung. Und Mama in der Rolle der Zwergantilope ist auch nicht zu verachten.
Bei anderen Tieren behält sich Theo das Recht auf die Imitation selbst vor. Am liebsten ahmt er den Specht nach. Er kann dabei, sofern er mit geeignetem Werkzeug, etwa einem Suppenlöffel, ausgestattet ist, in minutenlange tranceähnliche Klopfräusche geraten. Ganz vorzüglich klingt der Specht von Theos Hand auf Porzellangegenständen. Jüngst hat dort ein extrem lauter Specht eine Art Stimmbruch erlitten. Mama reagierte ziemlich unrund, nahm Theo den Löffel und die beiden Tellerhälften weg und sagte: »Es hat sich ausgespechtet.« Doch in Mamas Abwesenheit feiert der Specht mitunter glanzvolle Comebacks.
Tiere stellen auch für Theos Sprachschatz eine Bereicherung dar. Kürzlich machte Papa bei der Obstzulieferung Mucken. Theo verlangte ausdrücklich nach Erdbeeren. Papa sagte: »Später.« Theo blieb dabei: »Ich will Erdbeeren!« Die Fronten verhärteten sich. Papa sagte: »Jetzt nicht.« Theo musste deutlicher werden: »Ich will Erdbeeren, du Vogel!« Papa war geknickt: »Theo, das sagt man nicht zu einem Menschen.« Theo: »Oh ja, die Oma sagt’s auch immer zum Opa.«
Gröbere Probleme hat Theo einzig mit einer übernervösen Spezies von Tieren – den lebendigen. Mankönnte auch sagen: Es handelt sich um Anlaufschwierigkeiten. – Wenn sie anlaufen, läuft Theo davon. Wenn die Zeit dazu fehlt, schreit er. Wenn in der Hektik kein Schrei herauskommt, hält er die Luft an. Wenn ihm die Luft zum Anhalten fehlt, wird er rot. Wenn er nicht rechtzeitig rot werden kann, macht er einfach nur die Augen zu. So lange, bis sich alles um ihn beruhigt hat und man ihm das Tier vom Leibe geschafft hat. Danach kann er in Ruhe losplärren – seine scharfe Protestnote gegen die immer freizügigere Tierhaltung.
Die gefährlichsten der im Alltag wild herumlaufenden Tiere nennen sie Hund. Die weitestverbreitete Rasse dürfte »Der tut dir nix« heißen. Sie kommen auf der Straße häufiger vor als daheim. Manchmal haben sie seltsame Geräte auf ihren Schnauzen, in die man nicht hineingreifen darf, obwohl das eines der wenigen reizvollen Dinge wäre, die Theo einem lebendigen Hund abgewinnen könnte.
In Theos privatem Lebensraum taucht des Öfteren ein Hund namens »Der Ben, der tut dir nix« auf, das ist der Hund vom zweiten Opa, ein Münsterländer. Für den Schrecken, den er Theo durch sein stets unverhofftes Erscheinen einjagt, gibt Ben eigentlich nicht viel her. Wenn ihm Theo als Zeichen der friedfertigen Annäherung mit dem Zeigefinger ins Auge fährt (was gar nicht so leicht ist, weil der Kerl ja nie stillhält), wird er sogar ziemlich ungemütlich.
Bellen ist eine Sprache, die Theo nicht gutheißen kann. In ihr steckt die Arroganz, auf ohrenbetäubend unangenehmeWeise völlig offen zu lassen, was der Bellende damit sagen will. Außerdem klingt Bellen höchstgradig vorwurfsvoll, ob nun einfordernd oder zurechtweisend. So braucht »Der Ben, der tut dir nix« Theo gar nicht zu kommen. »Ben weg!«, sagt er in solchen Fällen und macht verscheuchende Handbewegungen. Dann wird das Tier meistens abgeführt.
Im März war Theo mit zwei Gelegenheitspädagogen (einer davon war ich) im Haus des Meeres in Wien. Nicht den gesamten März über. Aber lang war es schon. Es war ein verregneter Karsamstag, an dem alle Erwachsenen, die im Besitz kleiner Kinder waren oder sich unter österlichen Vorwänden solche erschlichen hatten, auf die geniale Idee kamen, ins Haus des Meeres zu gehen. An diesem Tag mussten sich die besichtigten Fische in ihren sonst so engen Aquarien vergleichsweise wie im weiten Ozean fühlen. (Und vor ihnen ging es zu wie am Strand von Jesolo im August.) Kein Problem für Theo. Er hatte es gern, wenn viele Menschen um ihn waren.
Der Meereshausbesuch fiel in eine Phase, in der es für Theo exakt zwei Fragen gab, die er immerzu stellen musste, wenn ihm irgendjemand begegnete oder irgendetwas unterkam, das er noch nicht kannte. Erstens:
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