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Theo

Titel: Theo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Gefahr hin, dass sich alle als exotische Tänzer der gleichen Gruppe entpuppten.
    Aber einer war dann doch ganz besonders und lenkte Theo sofort von den anderen ab. Er lag einfach nur daund rührte sich nicht. (Entspannungsübung? Mentales Training? Rauchpause?) »Was ist das?« – »Ein toter Schmetterling.« – »Was macht der da?« – »Der ist tot.« – »Was macht der da?« – »Theo, da steht: Dieser Schmetterling ist an Altersschwäche gestorben. Man darf ihn angreifen.« – Das fand Theo toll. Endlich ein Tier, das man ungestört anfassen, wenn schon nicht in den Mund nehmen konnte. – »Theo, streicheln brauchst du ihn nicht, der ist schon tot.« Aber schaden konnte es ihm wohl auch nicht mehr. Also streichelte Theo weiter.
    Die Konzentration riss schlagartig ab. Denn plötzlich stand sie vor ihm. Einen Kopf größer, rotes Haar, blaues Stirnband, Sommersprossen. Nein, sie wollte nicht seine Kekse. Sie wollte ihn persönlich. »Wie heißt du?« – »Theo«, piepste Theo. (Eine Namenssilbe mehr, und er hätte gestottert.) »Und ich bin die Simone«, antwortete das Mädchen unter einem Dutzend Augenaufschlägen und mit in die Hüfte gestützter Hand.
    Da Theo aufgrund einer vorübergehenden Lähmungserscheinung nicht fähig war, die Initiative zu ergreifen, nahm sie ihn an der Hand und schleifte ihn mit den Worten: »Schau, ich zeig dir was!« durch die Schmetterlingshalle. Vor einem kleinen Podest blieb sie stehen, hob Theo unsanft hinauf, schob ihm eine dort befindliche Lupe vor das Auge und sagte: »Schau!« – was sie sich sparen hätte können, denn Theo blieb ohnehin nichts anderes übrig.
    Leider war das zugleich auch die Verabschiedung,denn der Vater hatte das Mädchen bereits gesucht und mahnte zum sofortigen Aufbruch. Simones fehlender Trennungsschmerz ließ darauf schließen, dass Theo nicht der Erste war.
    Für Theo ging alles zu rasch. Er fand sich abgestellt und allein gelassen auf einem viel zu hohen Podest mit einer nichtssagenden Lupe in der Hand und versuchte diese aufregende Kurzphase seines Lebens, die so unschön enden musste, zu verstehen. Er war gerade dabei, sich von Simone betrogen und ausgenützt zu fühlen und dies den Besuchern des dafür wohl verantwortlichen Schmetterlingshauses in einem kräftigen Gefühlsausbruch kundzutun, da griffen die beiden in Vergessenheit geratenen Begleitpersonen wieder in sein Leben ein – und trugen ihn zu einem bunten Souvenirstand.
    Die Produktpalette dieses kleinen Billa war zwar ziemlich einseitig auf Tmetterlinge ausgerichtet, aber es gab auch eine ganz nette Gummi-Tlange und einen kleinen Bären und ein Auto und noch ein Auto und ein Irgendwas (schwer zu erkennen, aber die Farben waren schön). Theo legte die auserwählten Dinge aufs Kassenpult und deutete der Verkäuferin, sie könne sie schon einmal einpacken. Inzwischen wollte er sich noch ein bisschen umsehen. »Nein, Theo«, rief eine unangenehme Stimme. »Du musst dich entscheiden.« – Hatte er bereits: alles! (Oder nichts – aber das konnten sie ihm in dieser labilen emotionellen Phase nicht antun.) Daheim präsentierte er seine Geschenke, verschwiegdie Szene mit Simone und schwärmte noch Tage danach vom toten Tmetterling.
    Im Frühsommer war Theo reif für die größeren Tiere, meinte der Weisenrat der ihm anvertrauten Pädagogen. Theos Idee war der Tierpark Schönbrunn jedenfalls nicht – das sollte vielleicht gleich zu Beginn erwähnt werden. Deshalb übernahm er auch keine Verantwortung für das Gelingen der Veranstaltung.
    Zu den äußeren Bedingungen muss gesagt werden, dass man in Wien und Umgebung wie im Frühling so auch im Sommer nicht mehr ohne Regenschirm aus dem Haus gehen sollte. (Von Herbst und Winter wollen wir gar nicht reden.) Theo, ein Kind, das mit Tiefdruckgebieten und atlantischen Frontensystemen groß geworden ist, das Regen also gewohnt war, ohne für Kummer bereit zu sein, entwickelte im feuchten Juni 1997 den Mut zur Pfütze. Theo hatte damit endlich eine Form der Fortbewegung mittels der eigenen Beine gefunden, die ihm Spaß machte.
    Der Schönbrunn-Besuch fand in einer kurzen Regenpause statt. Der Schotterboden war von Hunderten kleinen Teichen durchsetzt, an denen sich die Erwachsenen und ihre erwachsen erzogenen Kinder zum Teil akrobatisch vorbeischwindelten, um ihre Schuhe nicht schmutzig, die Socken nicht nass und die Zehen nicht eisig zu machen. Eine zweite Gruppe verwegenerer Gestalten ignorierte den Bodenbelag und blieb, über feuchte und

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