Theo
herumwühlt. Schau, die Flossen … Theo? Theeeoooo?« – In der Mitte des Raumes, weit weg von jedem Meeresbewohner, stand er als Kleinster im Kreise von Kindern und hielt die Hand auf. Ein Vater hatte in Theos Nasenhöhe leichtsinnig eine Plastikschüsselgeöffnet, um seine Familie (Betonung auf »seine«) mit Keksen auszustatten. Für Theo sind Kekse Allgemeingut. Er setzte den unterernährtesten seiner Blicke auf und zwang damit den Vater zu einem halbherzigen: »Willst du auch ein Keks?« Zu diesem Zeitpunkt hatte Theo übrigens bereits eines in der Hand.
Die Besichtigung der restlichen Räumlichkeiten verlief dann ein wenig einseitig. Die Fische hatten keine Chance mehr, beachtet zu werden. – Theo jagte dem Mann mit den Keksen hinterher. Beim Ausgang verlor er ihn endgültig aus den Augen. Als Trost nötigte er seinen gelegenheitspädagogischen Trägern einen Kaffeehausbesuch mit Kakao und Riesenkeks ab. (Es war eine Torte, aber Theo hat den Etikettenschwindel zum Glück nicht bemerkt.)
Zusammenfassend kann gesagt werden – oder lassen wir es Theo selbst sagen. »Wo war denn der Theo heute?«, fragte am Abend die Mama. »Im Haus des Meeres«, antwortete er verschmitzt, als wäre es eine Peepshow gewesen. »Und was hat der Theo dort gesehen?«, setzte die Mama nach. (An dieser Stelle ist es erforderlich, ein kleines sprachtechnisches Geheimnis zu lüften: Theo verweigert beharrlich das »Sch« wie Schule und nimmt stattdessen »T« wie Truhe in den Mund.) »Und was hat der Theo dort gesehen?« Theo: »Fite, Tlangen, Tildkröten und Kekse!«
Da es heitere Übergangszeiten in Wien nur am Papier gibt und es serienmäßig bis tief in den Sommer hinein regnet, schneit und stürmt, erlebte Theo seinen drittenFrühling notgedrungen in geschlossenen Räumen. Im tropisch eingerichteten Schönbrunner Schmetterlingshaus sollte er wenigstens einmal andeutungsweise echte Frühlingsgefühle entwickeln. Das war der pädagogische Auftrag für einen dieser verschneeregneten April-Samstage. Was das Begleitpersonal betraf, nahm Theo keinen Austausch vor. Die rührig bemühten Gelegenheitspädagogen (einer davon war ich) hatten nach dem recht passablen Meerestierbesuch eine zweite Chance bekommen.
Schmetterlinge bedeuteten Theo vorher nicht viel. Um ehrlich zu sein: Er wusste gar nicht, dass es welche gab. Aber bitte: Wenn alle um ihn herum schon so euphorisch taten, dann war es nur recht und billig, sich diese Dinger einmal anzuschauen, diese »Tmetterlinge«. – Der Name war schon einmal ganz gut.
Damit er sich diesmal konzentrierter den einzelnen Tierschicksalen widmen konnte, war er mit einem entsprechenden Keksvorrat ausgestattet worden. Mit der Rechten bediente er sich aus der bequem zugänglichen Handtasche eines Begleiters. In der Linken hielt er ein Notkeks, für alle Fälle. Vor dem Eingang kam ihm ein etwa dreijähriges Mädchen entgegen. Eine böse Vorahnung ließ ihn zur raschen Vertilgung der Keks-Reserve schreiten. Tatsächlich hatte es das Mädchen auf Theos linke Faust abgesehen, die es spontan ergriff, öffnete und (enttäuscht) wieder schloss. Theo stand regungslos da, den Mund weit aufgerissen, und warf seinen Begleitpersonen vorwurfsvolle Blicke zu, die inetwa besagten: Vielleicht bequemt sich hier bald einer und ruft die Polizei! Das hätte ein brutaler Raubüberfall sein sollen.
Da nichts geschah, zog Theo seine Fäuste sicherheitshalber tief ins Mantelinnere zurück. Denn vor solchen Mädchen musste man auf der Hut sein: Reichte man ihnen kein Keks, nahmen sie einem womöglich die ganze Hand.
Das mit den Worten »Da sind wir« bezeichnete Haus erinnerte an die Sauna vom zweiten Opa. Nur roch es irgendwie gesünder, und überall wucherten Bäume, Sträucher und Blumen. Die Schmetterlinge erkannte Theo sofort. Das waren die vielen dünnen bunten Mini-Vögel, die da lautlos in der Luft herumwirbelten. Aber wussten das auch die Träger?
»Was ist das?« – »Ein Schmetterling.« – »Ein Tmetterling?« »Nein, äh, doch, ein Schmetterling.« – »Was macht der da?« »Der fliegt herum.« – »Was macht der da?« – »Der sucht Nahrung.« – »Was macht der da?« – »Der trainiert für eine exotische Tanzveranstaltung.« – Theo lachte schmutzig. Er glaubte dem Träger zwar kein Wort, aber der Witz war überraschend gut. Also auf ein Neues: »Was ist das?« – Richtig, es war ebenfalls ein Schmetterling. Theo schien entschlossen, die tausend anwesenden Exemplare durchzugehen, auch auf die
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