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Theo

Titel: Theo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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natürlich selbst einmal umhören. Also fragt er, etwa an einem Ort, der weder optisch noch was die Gerüche betrifft zu den Billa-Highlightszählt: »Was ist das da?« – »Das ist die Käseabteilung«, antwortet der Betreuer am Einkaufswagen. Theo dreht sich zur Einkaufsnachbarin und verrät ihr, mit leicht gerümpfter Nase und hinter dezent vorgehaltener Hand (wie man Geheimnisse eben preisgibt): »Das ist die Käseabteilung.« – Sie bedankt sich.
    Nun genießt Theo den Ausblick auf die gesamte Vitrine und fragt, manchmal von links nach rechts, manchmal auch durcheinander: »Was ist das?« – »Das ist Käse«, antwortet der Pädagoge beim ersten Mal. Bei den weiteren Malen sagt er: »Das ist auch Käse.« Oder,eleganter: »Auch das ist Käse.« Ist er in rhetorisch glanzvoller Verfassung, schwingt er sich zu einem »Das ist französischer (italienischer, österreichischer) Käse« auf. – Aber das interessiert Theo ohnehin nicht allzu sehr – egal, wo der Käse herkommt, es genügt, dass er da ist.
    Theos zweite Standard-Frage, »Was macht das da?«, entfällt, da auch für ihn mit freiem Auge erkennbar ist, dass Käse nicht fähig ist, irgendetwas anderes zu machen, als faul (mitunter sogar schon schimmlig) herumzuliegen und darauf zu warten, gekauft zu werden – weder französischer noch italienischer, noch österreichischer.
    Bestellt nun die benachbarte Einkaufswagenführerin »hundert Gramm Dolce Latte«, so beeilt sich Theo hinzuzufügen: »Das ist Käse!« – Wofür sich die Frau wieder recht herzlich bedankt. Zu den »hundert Gramm Emmentaler« erfährt sie: »Das ist auch Käse«. (Oder, eleganter: »Auch das ist Käse«.) – Theo nimmt noch einmal Gratulationen entgegen, ehe der Lenker mit dem Hinweis »Theo, es reicht!« den Wagen in die dem Käse abgewandte Richtung dreht. Theo kann es egal sein. – Erfahren die Leute eben nicht mehr, was sie kaufen.
    Die Wurstabteilung lebt von Theos einstudierter Geste des Arm-Entgegenstreckens und Hand-Aufhaltens bei gleichzeitig hungrigem Blick. Theo ist dort kein Unbekannter. Zumindest eine Verkäuferin weiß, dass es sich bei dem »jungen Mann«, wie sie gerne sagt, um jenen Stammkunden handelt, der kommt, um sich sein Extrawurstblatt abzuholen. Leider ist Theo nicht immer scharf auf Extrawurst. Doch er bringt es einfach nicht übers Herz, das Geschenk zurückzuweisen.
    Er ahnt natürlich auch, dass man Geschenke nicht weiterschenkt, schon gar nicht im Geschäft. Aber die Verkäuferin hat das ohnehin nie mitbekommen, wenn er sein Extrawurstblatt dem nächstbesten Kunden formlos in die Hand gedrückt hat. (Manchmal hatte er es vorher schon in den Mund genommen und wie eine Briefmarke angefeuchtet, dann klatschte es so richtig.)
    Begleitpädagogen sehen so etwas seltsamerweise immer – und kurioserweise nie gern. Bald wurde Theo in rüdem Ton mit einem scharf formulierten Extrawurstblatt-Aushändigungsverbot auf Lebenszeit behaftet.
    Beim darauffolgenden Mal schleuderte er sein Extrawurstblatt (nicht aus Trotz, ganz ehrlich nicht!) wieeine Frisbee-Scheibe ins Einkaufswageninnere. – Auch das passte ihnen nicht. Mittlerweile steckt er das Geschenk eben wieder in den Mund. Entweder kaut und schluckt er es – oder … aber das fällt ihnen dann ohnehin bald auf.
    Wir bitten nun zur Kasse. Schade um die vielen kleinen Zwischenstationen und Einkaufsnischen im Erlebnispark Supermarkt, auf die wir hier aus Platzgründen verzichten müssen. Wenn Theo einmal größer ist und sein Kauffieber anhält, wird er bestimmt einen kompletten Billa-Einkaufsführer auf den Markt werfen, in dem alle noch offenen Fragen zur Sprache kommen werden. Zum Beispiel: Wieso darf man bei den zahlreich versammelten Coca-Cola-Flaschen die Drehverschlüsse nicht öffnen? (Wieso darf man nicht einmal so tun, als wollte man sie öffnen?) Oder: Wie nimmt man die unterste aus einem Berg von Zitronen, sodass möglichst viele der darauf liegenden Zitronen im Regal bleiben? Oder: Wie verheimlicht man fünf in eine prächtig orangefarbene Liptauer-Schüssel eingetunkte Finger? (Fortgeschrittenen-Edition: Wie verheimlicht man zehn in eine prächtig orangefarbene Liptauer-Schüssel eingetunkte Finger?)
    Bei den Kassen laufen alle Fäden zusammen. Das mit den »Fäden«, das sagt man nur so. In Wirklichkeit handelt es sich bei jenen, die zusammenlaufen, um Menschen vieler Art mit Waren aller Art, die sie in ein und derselben hektischen Art seltsam umständlich aus-, um- und einpacken.
    Für Theo

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