Theo
erwiderte der Superpädagoge beherrscht. »Kein bisschen.« Einige Sekunden überlegte Theo, wie er darauf reagieren sollte. Dann weinte er.
»Was ist los, Theo?«, fragte die Mama aufgeregt. Theo unter Tränen: »Der Papa hat überhaupt nicht geweint!« Und zum Papa: »Und die Mama hat auch überhaupt nicht geweint!« – »Oh ja, Theo«, sagte der Papa. »Wir haben heimlich geweint. Wir wollten es dir nur nichtzeigen, damit wir dir die Laune nicht verderben.« – »Damit du dich nicht kränkst«, vervollständigte die Mama.
Bei solchen Worten mussten einem ja die Tränen kommen. Endlich sahen sie ein, dass sie alles falsch gemacht hatten. Endlich weinten sie. So wurde es doch noch ein schöner Abschied.
Die Grenze ist Theo dann eher passiert. – Ohne dass auch nur irgendetwas passierte. Und das war doch eine kleine Enttäuschung.
Aber so ist das eben oft mit Dingen, die einem vorweg als die große Sensation verkauft werden. Oma und Opa hatten prächtige grüne Reisepässe. Theo hatte man eigens für die Grenze einen Personalausweis ausgestellt. (Theo ist zwar hier nicht das Personal, aber vielleicht sehen das die Italiener anders, nämlich umgekehrt.)
Jedenfalls wusste er, dass er an der Grenze seinen Ausweis herzeigen würde müssen. Tat er es nicht, durfte er nämlich nicht über die Grenze. Aber er wollte unbedingt über die Grenze. Denn anders als über die Grenze gelangte man angeblich gar nicht nach Italien. Und dorthin wollte er erst recht. Denn Italien war ja der Urlaub. Und auf Urlaub wollte er erst recht unbedingt.
»In vier Stunden sind wir an der Grenze«, sagte die Oma bei der Abfahrt in der Josef-Ressel-Straße. Sie war so aufgeregt, dass sie gleich ein Hustenzuckerl in den Mund stecken musste und fast vergessen hätte, Theo eines anzubieten. Theo beschloss, bis zur magischenGrenze kein Auge zuzutun. Die Oma musste ihm seinen Personalausweis aushändigen, damit er sich schon einmal mit ihm vertraut machen konnte.
»In drei Stunden sind wir an der Grenze«, verkündete der Opa in Niederösterreich. Und seine Hände krampften sich am Lenkrad fest. Theo schaute beim Fenster hinaus. Aber es war noch nichts von der Grenze zu erkennen.
»Nur noch zwei Stunden, und wir sind an der Grenze«, erhöhte die Oma in der Steiermark. Und wischte sich den Schweiß von der Stirn. (Die Klimaanlage war zwar vorhanden, aber ungesund – und blieb abgedreht.) Theo öffnete seinen Personalausweis und zeigte ihn der Oma. – Etwa hundertmal, dann musste sie wegen Halsverrenkungen aufgeben.
»Jetzt dauert es nur noch eine Stunde bis zur Grenze«, versprach der Opa in Kärnten. Das klang eher kraftlos. Vielleicht bekam es der Opa auch schon mit der Angst zu tun, bald seinen Pass herzeigen zu müssen. Theo war hellwach und presste seinen geöffneten Personalausweis gegen die Fensterscheibe. »Verkehrt«, rief die Oma. »Die Zollbeamten müssen ihn sehen können, nicht du.« Aber es war ja noch eine Stunde Zeit, an diesem kleinen Formfehler zu feilen.
Und dann kam die Grenze. »Da vorne ist sie!«, rief die Oma entzückt. »Wo?«, fragte Theo und streckte seinen Personalausweis beim Fenster hinaus. Draußen standen Männer in Uniformen und winkten, aber nicht von oben nach unten, sondern irgendwie komisch zurSeite. Keiner machte Anstalten, sich für Theos Personalausweis zu interessieren. Der Wagen wurde zwar langsamer, blieb aber nicht stehen. »Personalausweis!«, schrie Theo den Männern verzweifelt nach. Aber da war es schon zu spät.
»Sie wollten unsere Ausweise gar nicht sehen«, sagte der Opa überraschend gefasst. »Na lustig«, erwiderte die Oma (und lachte tatsächlich). »Jetzt dürf ma nicht über die Grenze!«, klagte Theo – offensichtlich der Einzige im Fahrzeug, der über gewisse Grenzen hinausdenken konnte – und war fest entschlossen, nach dem ersten großen Grenz-Schock bitterlich zu weinen.
»Theo, wir sind schon über der Grenze«, behauptete da plötzlich die Oma. »Wo ist die Grenze?«, fragte Theo und sah sich im Auto um. »Da hinten war sie, wir haben sie schon passiert«, erklärte der Opa. Theo drehte sich um, konnte aber nichts erkennen, was nach Grenze aussah oder roch oder sich danach anfühlte.
Die Ereignisse begannen sich nun zu überschlagen. »Wir sind schon in Italien!«, sagte jetzt die Oma. »Wo ist Italien?«, fragte Theo und sah sich, schon ein wenig verbittert, um. »Da ist Italien, das alles ist Italien«, erwiderte der Opa. »Was alles?« – Theo zappelte ungeduldig.
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