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Theo

Titel: Theo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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wird. Theos Bestreben ist es daher, möglichst viel zu brauchen. Gefällt ihm eine Ware, deutet er dem Lenker, kurz zuzufahren und anzuhalten. (Der Lenker fährt alle paar Zentimeter kurz zu und hält an, eigentlich erschöpft sich ein Billa-Einkaufmit Theo darin, kurz zuzufahren und anzuhalten.)
    Ist das Produkt des spontanen Entzückens in Reichweite, nimmt er es und räumt es, scheinbar beiläufig, in den Wagen ein. Er versucht dabei, so ernst wie die anderen Leute auszusehen, wenn sie Sachen einpacken, die sie dringend benötigen, um nur ja keine Diskussion über die Notwendigkeit der Anschaffung vom Zaun zu brechen.
    Manchmal studiert er mit gerunzelter Stirn, um die Kauf-Professionalität zu erhöhen, noch rasch Aufbrauchdatum und sonstige Beschriftungen. Dann nickt er zufrieden und wirft die Ware in den Korb. Reine Routine ist der abschließende Blick auf seine Einkaufsliste, auf der das soeben erworbene Produkt, egal, ob es draufsteht, im Geiste abgehakt wird.
    Mitunter kann es dennoch vorkommen, dass das von Theo gerade in den Wagen geworfene Gut unter Worten wie »Nein, Theo, die Maggi-Suppenwürfel lassen wir da, auch wenn dir die Kuh auf der Packung noch so gefällt« wieder ins Regal zurückwandert. Aber an guten Tagen muss der Einkaufswagenlenker bei der Kasse noch vier, fünf von Theo untergejubelte Dinge zurückgeben. Dabei entschuldigt er sich seltsamerweise für Theo statt bei Theo. Der hatte ja die Sachen nicht grundlos eingepackt.
    Hat sich Theo im Zuge der lustvollen Regalbeschau für den Erwerb eines Produktes entschieden, das sich nicht in seiner Reichweite befindet, so zeigt er einmalmit allen zur Verfügung stehenden Fingern hin und sagt: »Das da brauch ma noch!« – In solchen Fällen erwacht im Lenker oft der Lehrerinstinkt, und er fragt oberschlau: »Weißt du überhaupt, was das ist und wie das heißt?«
    Diese Frage kennt Theo schon aus vielen anderen Situationen, und er antwortet ausnahmslos immer: »Ja!« Doch belehrende Lenker sind lästig und pflegen nachzusetzen: »Na, Theo, wenn du weißt, wie es heißt, dann sag es!« – Theos ebenfalls kampferprobter Konter dazu lautet: »Sag’s du!« Das folgende »Zuerst du, zuerst du, zuerst du«-Gefecht gewinnt immer Theo.
    »Das ist reiner Gärungsessig«, erklärt der erschöpfte Lenker (im konkreten Fall). »Reiner Gärungsessig brauch ma!«, erwidert Theo leidenschaftlich. »Nein, Theo, den brauchen wir wirklich nicht«, meint der Lenker. »Oh ja, den brauch ma!«, weiß Theo (zappelig und weinerlich). Aber wie soll er es beweisen? Manchmal kramt er seine Einkaufsliste hervor und drückt sie dem Pädagogen bestätigend in die Hand. (Sollte sich reiner Gärungsessig nicht auf der Liste befinden, so wurde er eben vergessen, und das darf jetzt im Kaufhaus nicht noch einmal passieren.)
    Wird der Einkaufswagen ohne reinen Gärungsessig zur Kasse gelenkt, was Theos Pädagogen nicht empfohlen werden kann, bleibt dem Hintergangenen nichts anderes übrig, als an die Öffentlichkeit zu gehen. Die gesamte Warteschlange erfährt die Schreckensnachricht jetzt aus seinem Mund: »Reiner Gärungsessig brauchma noch!« Eine Welle des Mitleids schlägt Theo entgegen. Schon erklären sich einige Kunden bereit, das so Begehrte zu besorgen. Aber der sture Lenker winkt dankend ab und erzählt den Leuten irgendetwas von Kindern und ihren ausgeprägten Fantasien.
    Je deutlicher sich das Ende des Einkaufs abzeichnet, umso säuerlicher werden Theos Essig-Rufe. Sein allerletztes, verzweifeltes, gequältes, gekrächztes »Reiner Gärungsessig brauch ma noch!« lässt es für Außenstehende nahezu unmöglich erscheinen, dass Theo je wieder mit normaler Stimme sprechen und ein gesundes Kleinkind-Dasein fristen wird können, wenn er jetzt nicht auf der Stelle ein paar Tropfen reinen Gärungsessig bekommt. Und der Pädagoge am Einkaufswagen, der ihm offensichtlich die rettende Medizin verwehrt, erntet ganz bestimmt von allen Seiten jede Menge verächtlicher Blicke. – So also wird mit kleinen Kindern im Kaufhaus umgegangen.
    Eigene Einkäufe im Einkauf stellen die Aufenthalte an den einzelnen Glasvitrinen dar, wo Kunden extra sagen müssen, was sie wollen, und ein Verkäufer es ihnen dann abschneidet, einpackt und überreicht. Hier hält der Einkaufswagen längere Zeit, sodass Theo Gelegenheit hat, sich mit den Leuten ein bisschen über die Waren zu unterhalten und ihnen vielleicht den einen oder anderen Tipp mit auf den Weg zu geben.
    Zuerst muss er sich

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