Theodor: Im Zeichen des Bösen (German Edition)
Stimme weder hart, noch zutraulich anhörte.
„Nein“, erwiderte sie und sie musste sich selbst über ihre innere Ruhe wundern, mit der sie ihm die Antwort gab. Sie wusste es wirklich nicht – aber sie ahnte es.
„Du weißt, wer du bist?“ Sein Blick schien sich noch mehr in ihren zu vertiefen.
„Seine Tochter“, antwortete Chrissie nur.
„Gut“, nickte er ihr zu. „Wenn es so weit ist, werde ich dich holen.“ Mehr sagte er nicht, drehte sich um und verschloss hinter sich wieder die Tür. Chrissie setzte sich auf die Bettkante und starrte auf den alten, vom Holzwurm durchlöcherten Kleiderschrank.
„Warum?“, flüsterte sie, als würde sie eine Antwort von dem Kleiderschrank erwarten. Dabei wanderte ihr Blick an dem Sockel entlang, der den Schrank nur noch mit Mühe zu tragen vermochte. Daraufhin ließ sie ihn seitlich an der Tür hinauf wandern, hielt im oberen Drittel inne, um ihn dann auf die Mitte der Frontseite zu richten. Die gefräßigen Holzwürmer hatten eine eigenartige Struktur hinterlassen. Je länger sie den Schrank betrachtete, umso genauer schien sich die Struktur der Holzwürmer zu einem Bild zu verschmelzen.
Das Abbild jenes Mannes, der wieder und wieder in ihren Träumen zu ihr gesprochen hatte, zeichnete sich mehr und mehr aus dieser Struktur heraus. Jener Mann, den sie vor wenigen Minuten noch als ihren Vater bezeichnet hatte. Er starrte sie an, fesselte ihren Blick und ließ ihr nicht den Willen, etwas anderes zu betrachten als diese Struktur der gefräßigen Holzwürmer, die sein menschliches Aussehen während der vergangenen Jahrhunderte in das Eichenholz gefressen hatten.
Auf einmal schien das Abbild Gestalt anzunehmen, sich langsam zu bewegen, sich zu lösen; aus einer tiefen Verborgenheit schien es zu kommen und Chrissie sah nur noch ihn, nicht mehr die zerfressene Oberfläche der Schranktür, sondern nur noch den großen, kräftigen Mann mit den langen schwarzen Haaren, welche sich über seine breite Schultern wellten. Und sie konnte seine Gesichtszüge erkennen, die geziert wurden von einem gepflegten schwarzen Vollbart.
Die Stunde der Empfängnis naht, vernahm sie plötzlich eine Stimme, die von allen Seiten flüstert. Die Gestirne haben sich zusammengeschlossen, und es ist an der Zeit, meine Auferstehung für das Leben zu besiegeln. Du, die einst einmal meine Tochter gewesen warst, du wirst nun die Mutter deines Vaters sein. Scarliet Ebestan; gib dich ihm hin, lass es ohne Widerwillen geschehen und hüte dich vor Ephrath. Vergiss, was geschehen ist! Du lebst! Du wirst ein Kind gebären! Dein Kind, das du vor Ephrath beschützen musst! Er wird versuchen, es zu töten! Er wird versuchen es zu töten! Er wird versuchen es zu töten! Er wird versuchen...“
Die Stimme wurde leiser und leiser, und wie sie langsam in sich erstarb, bewegte sich die Gestalt zurück, löste sich auf, bis nur noch die vielen Rillen in dem Eichenholz des uralten Kleiderschrankes zu sehen waren.
Feuchtigkeit schimmerte in Chrissies Augen, die sich langsam zu einem Tropfen sammelte und als Träne über ihre Wange rollte. Sie musste an den Pater denken, der vor wenigen Tagen noch mit so viel Liebe und Güte zu ihr und ihrem Vater gesprochen hatte. Jedes Wort trat in ihre Erinnerung zurück, als ob er selbst in diesem Moment vor ihr stehen würde, um es ihr noch einmal zu sagen.
Erlebt den Schmerz und ihr werdet Gott erleben. Flieht nicht davor. Stellt euch dem Schicksal, das euch wie ein Dogma begleitet. Akzeptiert die Geschehnisse dieser Welt, so wie sie eintreffen. Ihr werdet erkennen, dass es nur ein Leben, eine kurze Weile auf einem Planeten ist, den wir Menschen Erde genannt haben. Das Davor und das Danach ist die Ewigkeit, die dem Guten keine Schmerzen bereitet.
Mehrmals atmete Chrissie tief durch – und sie versuchte zu verdrängen. Zu verdrängen, was geschehen war, um sich dem Schicksal zu stellen, dessen sie sich gegenübergestellt sah und dem sie nicht entfliehen konnte. Und sie wusste, er war hier – ganz in ihrer Nähe um zu warten, bis sie das Kind gebären wird, das seine Wiedergeburt ermöglichte.
Chrissie schauderte, als sie an jenen Moment zurückdachte, in dem Harry Bansly durch die zertrümmerte Terrassentür kam. Sie war willenlos und sie wusste, er wollte nur sie.
„Er hätte sie getötet“, sprach sie in sich hinein. „Dieser Mensch hätte Bill und Helen getötet, so wie er meinen Vater hat töten lassen...“ Tränen rannen über ihr Gesicht, der Schmerz war
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