Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
eingebildet gewesen sind, und es ist dann nicht wunderbar, dass er in seiner damaligen Verwirrung die Worte so verworren und dunkel sich in seiner Einbildung zusammengesetzt, dass er nachher keinen Sinn herausbringen konnte. Wenn gesagt wird, Gott habe sich dem Daniel nicht deutlich offenbaren wollen, so hat man die Worte des Engels nicht gelesen, der ausdrücklich sagt (X. 14): »er sei gekommen, um Daniel zu wissen zu thun, was seinem Volke in späteren Zeiten zustossen werde.« Diese Dinge blieben nur deshalb so dunkel, weil damals Niemand eine solche starke Einbildungskraft besass, um sie deutlicher offenbaren zu können. - Endlich wollten auch die Propheten, welchen offenbart worden, dass Gott den Elias entführen werde, den Elisa überreden, dass er nur an einen andern Ort gebracht worden, wo sie ihn noch finden konnten; dies zeigt deutlich, dass sie die Offenbarung Gottes falsch verstanden hatten.
Es ist nicht nöthig, dies noch weitläufiger darzuthun; denn die Bibel ergiebt klar, dass Gott den einen Propheten mehr als den andern mit der Gnade des Prophezeiens beschenkt hat. Dagegen will ich sorgfältiger und ausführlicher darlegen, dass die Weissagungen und Erscheinungen je nach den die Propheten beherrschenden Meinungen wechselten, und dass die Propheten verschiedene und selbst entgegengesetzte Meinungen und Vorurtheile gehabt haben, was sich aber nur auf rein spekulative Gegenstände bezieht und nicht auf Frömmigkeit und guten Lebenswandel, wo es nicht gelten kann. Dieser Umstand ist von grosser Erheblichkeit; denn ich werde daraus ableiten, dass die Weissagung die Propheten nicht umsichtiger gemacht, sondern in ihren vorgefassten Meinungen belassen hat, und dass wir mithin in rein spekulativen Fragen durch sie in keiner Weise gebunden sind.
Mit einer wunderbaren Uebereilung ist man von jeher überzeugt gewesen, dass die Propheten Alles gewusst, was dem menschlichen Verstande erreichbar sei, und wenn Stellen der Bibel auf das Deutlichste sagen, dass die Propheten Manches nicht gewusst haben, so will man doch lieber die Schrift in diesen Stellen nicht verstehn, als zugeben, die Propheten hätten etwas nicht gekannt, oder man verdreht die Worte der Schrift zu einem Sinne, der nicht darin enthalten ist. Wäre dies gestattet, so wäre es freilich mit der ganzen Bibel vorbei; denn jeder Beweis aus der Bibel ist dann vergeblich, wenn das Klarste in ihr für dunkel und unergründlich erklärt oder nach Belieben ausgelegt werden darf. So ist z.B. nichts in der Bibel deutlicher, als dass Josua und vielleicht auch der Verfasser seiner Geschichte geglaubt, die Sonne drehe sich um die Erde, die Erde stehe still, und die Sonne habe eine Zeit lang auch still gestanden. Allein Viele, welche keine Veränderung am Himmel zulassen wollen, legen die Stelle so aus, dass sie nichts dergleichen sage, und Andere mit besseren Naturkenntnissen, welche wissen, dass die Erde sich bewegt und die Sonne still steht und nicht um die Erde sich bewegt, suchen mit der grössten Mühe einen solchen Sinn aus der Bibel herauszubringen, obgleich das offenbar gegen ihre Absicht läuft. Man kann darüber nur staunen; denn ich frage: sollen wir glauben, dass der Soldat Josua die Astronomie genau verstand? oder dass nur, wenn Josua die Ursache kannte, das Wunder ihm offenbart und die Sonne länger als gewöhnlich über dem Horizont bleiben konnte? Mir scheinen beide Annahmen lächerlich; ich sage deshalb lieber offen, dass Josua die wahre Ursache des längeren Leuchtens nicht gekannt hat und deshalb mit seinen Leuten gemeint hat, die Sonne drehe sich täglich um die Erde und habe nur an diesem Tage eine Zeit lang still gestanden, und deshalb sei es länger Tag geblieben. Er hat also nicht bedacht, dass von einer grossen Eisanhäufung, welche sich damals in der Luft befand (Josua X. II) eine ungewöhnlich starke Zurückwerfung der Sonnenstrahlen entstehen konnte, oder etwas Aehnliches, was ich jetzt nicht untersuche. - Ebenso wurde dem Esaias das Zeichen des zurückweichenden Schattens nach seiner Fassungskraft offenbart, nämlich durch das Zurückweichen der Sonne; denn auch er glaubte, dass die Sonne sich bewege und die Erde ruhe, und an Nebensonnen hat er wohl niemals, auch im Traume nicht, gedacht. Dies anzunehmen, ist uns gewiss gestattet, denn das Zeichen konnte wirklich geschehen und dem Könige von Esaias vorausgesagt werden, wenn auch der Prophet dessen wahre Ursache nicht kannte. - Dasselbe gilt von dem Bau Salomo's, wenn ihm
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