Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
sie stimmt am besten mit der Natur des Menschen überein. Denn in dem demokratischen Staat, welcher sich dem natürlichen Zustand am meisten nähert, sind Alle übereingekommen, nach gemeinsamem Beschluss zu handeln , aber nicht zu urtheilen und zu denken; d.h. weil alle Menschen nicht gleichen Sinnes sein können, ist man übereingekommen, dass das, was die Mehrheit der Stimmen für sich habe, die Kraft des Beschlusses haben solle, mit Vorbehalt, es wieder aufzuheben, wenn Besseres sich zeigt. Je weniger daher dem Menschen die Freiheit des Urtheils gestattet ist, desto mehr entfernt er sich von dem natürlichen Zustand, und desto mehr wird er durch Gewalt regiert.
Auch sind Beispiele genug vorhanden, und ich brauche nicht weit danach zu suchen, dass aus dieser Freiheit keine solchen Nachtheile erwachsen, welche die Staatsgewalt nicht beseitigen konnte, und dass sie genügt, damit die Menschen, wenn sie auch offen zu entgegengesetzten Meinungen sich bekennen, doch von gegenseitiger Verletzung abgehalten werden können. Die Stadt Amsterdam giebt ein solches Beispiel, welche zu ihrem grossen Wachsthum und zur Bewunderung aller Völker die Früchte dieser Freiheit geniesst. Denn in diesem blühenden Staat und vortrefflichen Stadt leben alle Völker und Sekten in höchster Eintracht, und will man da sein Vermögen Jemand anvertrauen, so fragt man nur, ob er reich oder arm sei, und ob er redlich oder hinterlistig zu handeln pflege; im Uebrigen kümmert sie die Religion und Sekte nicht, weil vor dem Richter damit nichts gerechtfertigt oder verurtheilt werden kann, und selbst die Anhänger der verhasstesten Sekten werden, wenn sie nur Niemand verletzen, Jedem das Seinige geben und ehrlich leben, durch das Ansehn und die Hülfe der Obrigkeit geschützt. Als dagegen vordem der Streit der Demonstranten und Contra-Demonstranten über die Religion von den Staatsmännern und den Provinzialständen aufgenommen wurde, wurde zuletzt eine Religionsspaltung daraus, und viele Fälle bewiesen damals, dass Religionsgesetze, welche den Streit beilegen wollen, die Menschen mehr erbittern als bessern. Andere entnehmen daraus eine schrankenlose Freiheit, und es zeigt sich, dass die Spaltungen nicht aus dem Streben nach Wahrheit, als der Quelle der Milde und Sanftmuth, sondern aus der Herrschsucht entspringen. Deshalb sind offenbar nur Diejenigen abtrünnig, welche die Schriften Anderer verdammen und den ausgelassenen Pöbel gegen die Schriftsteller zur Gewalt aufhetzen, aber nicht diese Schriftsteller, welche meist nur für die Gelehrten schreiben und nur die Vernunft zur Hülfe haben. Deshalb sind in einem Staate Diejenigen die wahren Unruhestifter, welche das freie Urtheil, was sich nicht unterdrücken lässt, doch beseitigen wollen.
Damit habe ich gezeigt, 1) dass den Menschen die Freiheit, das, was sie denken, zu sagen, nicht genommen werden kann; 2) dass diese Freiheit ohne Schaden für das Recht und Ansehn der Staatsgewalt Jedem zugestanden und von ihm geübt werden kann, sobald er sich nur hütet, damit etwas als Recht in den Staat einzuführen oder etwas gegen die geltenden Gesetze zu thun ; 3) dass Jedweder diese Freiheit haben kann ohne Schaden für den Frieden des Staates, und ohne dass ein Nachtheil entstände, dem man nicht leicht entgegentreten könnte; 4) dass Jeder diese Freiheit auch unbeschadet der Frömmigkeit haben kann; 5) dass Gesetze, welche über spekulative Dinge erlassen werden, unnütz sind; 6) endlich habe ich gezeigt, dass diese Freiheit nicht blos ohne Schaden für den Frieden des Staates, die Frömmigkeit. und das Recht der Staatsgewalt bewilligt werden kann , sondern dass dies auch zur Erhaltung derselben geschehen muss . Denn wo man dem entgegen dies den Menschen entziehen will, und wo der Streitenden Meinung, aber nicht die Absicht, die allein strafbar ist, vor Gericht gestellt wird, da wird an rechtlichen Leuten ein Beispiel aufgestellt, was vielmehr für ein Märtyrerthum gilt und die Anderen mehr erbittert und mehr zum Mitleiden stimmt, als von der Rache abschreckt. Ferner gehen dabei die guten Kräfte und der gute Glaube zu Grunde; die Schmeichler und Treulosen werden gepflegt, und die Gegner triumphiren, weil man ihrem Zorne nachgiebt, und weil sie die Inhaber der Staatsgewalt zu Anhängern ihrer Meinung gemacht haben, als deren Ausleger sie gelten. Deshalb wagen sie deren Ansehn und Recht sich anzumaassen und scheuen sich nicht, zu behaupten, dass Gott sie unmittelbar auserwählt habe, und
Weitere Kostenlose Bücher