Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Schrift Gottes Wort sei, was den Menschen die wahre Seligkeit und den Weg des Heils zeige, aber in Wahrheit urtheilt man ganz anders. Denn die grosse Menge denkt nicht daran, nach den Lehren der heiligen Schrift zu leben; alle ihre eigenen Erdichtungen giebt sie für Gottes Wort ans und strebt nur unter dem Vorwand der Religion, Andere zu gleicher Meinung zu nöthigen. Die Theologen sind meist nur bedacht, ihre Erfindungen und Einfälle aus der heiligen Schrift herauszupressen und mit göttlichem Ansehn zu umgeben. Mit wenig Bedenken und mit um so grösserer Frechheit legen sie die Bibel oder die Gedanken des heiligen Geistes aus, und haben sie noch eine Sorge, so ist es nicht die, dem heiligen Geist einen Irrthum anzuheften und von dem Wege des Heils abzuirren, sondern nur von Anderen nicht widerlegt zu werden, damit ihr eignes Ansehn nicht unter die Füsse komme und von Anderen verachtet werde. Wenn die Menschen das, was sie mit Worten von der Bibel bezeugen, im ernsten Sinne sagten, dann müssten sie einen andern Lebenswandel führen, und es würde nicht so viel Uneinigkeit ihren Geist bewegen; sie würden nicht mit so viel Hass kämpfen und nicht mit so blindem und verwegenem Eifer die Schrift auslegen und Neues in der Religion ausdenken, und sie würden nur das als Lehre der Schrift festzuhalten wagen, was sie selbst deutlich lehrt. Endlich hätten dann jene Gotteslästerer, welche sich nicht gescheut haben, die Schrift an vielen Stellen zu verfälschen, ein solches Verbrechen gefürchtet und ihre gotteslästerlichen Hände davon fern gehalten. Allein der Ehrgeiz und die Verbrechen haben es endlich dahin gebracht, dass die Religion nicht mehr in der Befolgung der Lehren des heiligen Geistes, sondern in der Vertheidigung menschlicher Erfindungen besteht, und dass die Religion nicht in der Liebe gefunden wird, sondern in Aussäung von Uneinigkeit unter den Menschen und in Ausbreitung des erbittertsten Hasses, der mit dem falschen Namen göttlichen Eifers und brennenden Verlangens beschönigt wird. Mit diesen Uebeln verband sich der Aberglaube, welcher die Menschen Vernunft und Natur zu verachten lehrt und sie nur das bewundern und verehren lässt, was jenen beiden widerspricht.
Es kann deshalb nicht auffallen, wenn man zur Erhöhung der Verehrung und Bewunderung der Bibel sie so auszulegen sucht, wie sie der Vernunft und Natur am meisten widerspricht. Deshalb träumt man von verborgenen tiefen Geheimnissen in der heiligen Schrift; man erschöpft sich in Auffindung derselben, d. h. des Unsinns, und vernachlässigt dabei das Nützliche. Alles, was sie so in ihrem Wahnsinn erfinden, wird dem heiligen Geist zugeschrieben und mit der grössten Anstrengung und Leidenschaft vertheidigt. Denn es verhält sich mit den Menschen so, dass, was er mit dem reinen Verstande begreift auch mit diesem vertheidigt; aber ebenso die Meinungen, wozu die Leidenschaft ihn treibt, nur mit diesen vertheidigt.
Um nun diesem Wirrwarr zu entgehen und den Geist von den theologischen Vorurtheilen zu befreien und menschliche Erdichtungen nicht für göttliche Lehren zu nehmen, habe ich über die richtige Auslegungsweise der Bibel zu handeln und sie auseinander zu setzen. Ohnedem kann man nicht mit Gewissheit wissen, was die Bibel und was der heilige Geist lehren will. Diese Weise der Bibelerklärung, um es mit wenig Worten zu aagen, unterscheidet sich nicht von der Naturerklärung, sondern stimmt mit ihr ganz überein. So wie die letztere vorzüglich darin besteht, das Einzelne in der Natur passend zusammenzustellen, um aus diesen festen Unterlagen die Begriffe der natürlichen Dinge abzuleiten, so müssen auch bei der Bibelerklärung die zuverlässigen Thatsachen zusammengestellt und daraus, als den sichern Unterlagen und Anfängen, die Meinung der Verfasser der Bibel in richtigen Folgerungen abgeleitet werden. So wird Jeder, wenn er nämlich keine weitem Anfänge und Unterlagen zur Auslegung der Bibel und Erörterung ihres Inhaltes zulässt, als was die Schrift selbst und ihre Geschichte bietet, ohne Gefahr des Irrthums vorschreiten und ebenso sicher das erörtern können, was unsere Fassungskraft übersteigt, als was man mit dem natürlichen Licht erkennt. Damit aber klar erhelle, dass dieser Weg nicht nur sicher, sondern auch der einzige ist, welcher mit der Weise der Naturerklärung übereinstimmt, ist zu erinnern, dass die Bibel sehr oft von Dingen handelt, die ans den Grundsätzen des natürlichen Lichts nicht abgeleitet werden
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